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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Norbert F. Pötzl
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Archäologen am Fundplatz A. Auf der nächsten Rangstufe folgten die Offiziere, repräsentiert durch 36 bronzene Schildbuckel. Vom gemeinen Fußvolk sind schließlich etwa 350 Schildbuckel aus Eisen erhalten geblieben. Diese straffe Organisation der Truppe trägt eindeutig eine römische Handschrift. »Es ist nicht nur der größte Fundkomplex römischer Schwerter, den wir kennen«, interpretiert Michael Meyer, Prähistoriker an der Freien Universität Berlin, den Fundplatz A. »Die Bewaffnung der Krieger von Illerup zeigt auch, dass bis zu einem gewissen Punkt sogar die Gliederung germanischer Heere an römische Verhältnisse angepasst wurde.« Meyer muss es wissen: Sein Spezialgebiet sind die Germanen, aber auch mit römischer Bewaffnung ist er bestens vertraut. Meyer leitet die Ausgrabungen am Harzhorn, wo im Jahr 233 Germanen und Römer erbittert gegeneinander wüteten.
    Auf die Anzahl von rund 1000 Kriegern, die gen Jütland ruderten, sind die Archäologen durch Hochrechnungen anhand der gefundenen Waffen und der noch unausgegrabenen Flächen gekommen. 1000 kampffähige Männer, die bereit sind, in einen Krieg zu ziehen, sind eine Menge Menschen – vor allem in einer Gesellschaft, die keine Städte kannte und nur wenig Arbeitsteilung. Zu Hause musste fast jeder Mann selbst zusehen, wie er mit den Erzeugnissen seines eigenen Hofes, seines Ackers und seines Viehs die Familie ernährte.
    Was erhofften diese Männer sich von der Fahrt nach Süden, für die sie ihr Leben und die Versorgung ihrer Frauen und Kinder riskierten? Welche Person oder welches Ereignis konnte so viele Krieger zu einem derartigen Wagnis mobilisieren? Wer oder was auch immer es war, hinter dem Feldzug stand eine straffe Organisation. Jemand, der den Impuls gab. Jemand, der über die Mittel verfügte, die gewaltige Truppe vom Plan zu informieren, sie anzufeuern, zu versammeln, mit Waffen zu versorgen und schließlich auf den Weg zu bringen. Tausend Männer, die zuvor vereinzelt auf weit voneinander entfernten Höfen über ein großes Siedlungsgebiet verteilt lebten. Wer es war, wissen wir nicht. Nur, was er gehabt haben muss: große Macht.
    Aber wie die Welt aussah, von der aus die Krieger aufgebrochen waren, lässt sich beschreiben. Sie unterschied sich nämlich – im Gegensatz zum Aufbau des Heeres – deutlich von der römischen. »Archäologisch gelingt die Unterscheidung von Römern und Germanen auf den ersten Blick sehr gut«, erklärt Meyer. »Germanen haben keine Städte, sondern wohnen in Weilern mit einfachen Häusern, sie bauen nicht mit Steinen oder Ziegeln, sie betreiben eine ganz andere Art der Landwirtschaft und kennen in der Regel keine zentralisierte Produktion.« Die germanische Welt sah aus wie in Feddersen Wierde. Der Marschboden dort vor der Wesermündung ist dicht, feucht und enthält kaum Sauerstoff: einer der Lieblingsböden von Archäologen, denn ohne Sauerstoff können die organischen Reste sich nicht zersetzen. So blieb in Feddersen Wierde ein germanisches Dorf genau so zurück, wie die Sachsen es verließen, als sie im 5. Jahrhundert nach Britannien aufbrachen, um dort gemeinsam mit den Angeln ein neues Leben zu beginnen.
    Bei den Ausgrabungen der Niedersächsischen Landesstelle für Marschen- und Wurtenforschung in den Jahren zwischen 1955 und 1963 fanden die Archäologen Häuser, Zäune, Werkzeuge, Geschirr – eine komplette Siedlung, fast unversehrt. Das Leben war eng in Feddersen Wierde. Man rückte dicht zusammen: Mensch an Mensch, Tier zu Tier, auch Mensch neben Tier. Alle wohnten gemeinsam in sogenannten Wohnstallhäusern. Der Bauplan war meist der gleiche: Zwei parallele Reihen von Eichenpfosten stehen in etwa drei Meter Abstand voneinander. An dieses Mittelschiff schließt sich jeweils links und rechts ein in der Regel 1,5 Meter breites Seitenschiff an, das an einer Reihe von Außenpfosten endet. Nicht nur längs, auch quer ist das Haus in drei Teile gegliedert. Der vordere Teil ist der Wohnbereich. Hier, um die zentrale Feuerstelle, spielt sich das Leben ab: Die Familie isst, trinkt, schläft, erzählt sich Geschichten. Damit die Flammen der Feuerstelle nicht auf die tragenden Pfosten des Mittelschiffs überspringen, sind diese hier weiter auseinandergerückt. An den Wohnteil schließt sich der schmalere Wirtschaftsbereich an. Hier lagern Geräte, vielleicht auch kleine Vorräte. Wer in das Haus eintritt, muss als Erstes diese Zone passieren, denn hier liegen die beiden Türen. So gelangt keine Zugluft in
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