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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Norbert F. Pötzl
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durch Paarung des Edlen mit Edlen, Mischlinge seien disharmonisch, unsicher, unsolide, oft nur einseitig begabt. Wenn das Edle mit dem Unedlen vermischt werde, dann setze sich schlussendlich das Unedle durch. Auch Friedrich Ludwig Jahn, der »Turnvater«, sinnierte über die Aufzucht: »Je reiner ein Volk, je besser; je vermischter, je bandenmäßiger.«
    Tacitus hatte die Germanen als rein beschrieben. Es entwickelte sich, im überhitzten Nationalismus jener Jahre, ein Denkschema, das der Kulturhistoriker Rainer Kipper trefflich umreißt: die »Biologisierung des Germanenmythos«. Aus den körperlichen Merkmalen der Germanen, immer sich auf den alten Römer Tacitus berufend, leiteten Forscher den Phänotyp des germanisch-nordischen Menschen ab: mit dolichocephalen, also länglichen Schädeln, mit einer hellen Färbung von Haut, Augen und Haaren. Der Brockhaus, das Nachschlagewerk jener Zeit schlechthin und die populärste Informationsquelle, notierte deshalb 1834 als vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnis über die Germanen, sie seien ein Volk gewesen »mit trotzigen blauen Augen, hochgelben Haaren, von starkem Körperbau und riesenhaftem Wuchs«.
    Die öffentliche Wahrnehmung wurde vor allem von den Unterhaltungsliteraten befeuert. Der Roman »Die Ahnen« von Gustav Freytag, der fiktive Schicksale einer deutschen Familie von germanischer Zeit an beschreibt, erreichte hohe Auflagen; Felix Dahn, ein gelernter Jurist, veröffentlichte mit fast gleichem Erfolg seinen »Kampf um Rom«. Das Buch, heute immer noch erhältlich, handelt vom Untergang des spätantiken Ostgotenreichs in Italien, transportiert freilich auch sozialdarwinistische Überlegungen. Charles Darwin hatte seine Evolutionstheorien als Naturgeschichte entwickelt, nun wurde sie umgemünzt in Sozialgeschichte. Ein höchst gefährliches Unterfangen.
    Die Leserschaft war keinesfalls geschlossen rechts, nach heutiger Betrachtungsweise. Sondern es war eine pluralistische – Konservative hier, Liberale da, Sozialdemokraten oder ultramontane Katholiken. »Der Rekurs auf die Germanenzeit« habe »also zumindest insofern integrativ« gewirkt, schreibt Rainer Kipper bar jeder Ironie, »als sie dasjenige Feld darstellte, auf dem sich die verschiedenen ideologischen Lager begegneten«. Der Staat nahm durchaus teil an diesem Germanen-Hype, vielerorts wurden spezielle Museen gegründet – etwa das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg oder das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz. Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 stockte Berlin den Etat des editorischen Mammutunternehmens »Monumenta Germaniae Historica« erheblich auf, wobei bemerkenswert ist, dass die Ereignisse des Jahres 9 nach Christi Geburt alsbald im Kaiserreich ihre programmatisch-politische Bedeutung verloren. Vermutlich deshalb, weil eine andere Form der Kriegsführung nicht den Helden brauchte, sondern einen konturlos ins Massenheer integrierten Soldaten. Stattdessen wurden Hermann, die Varusschlacht und die Germanen für andere Zwecke instrumentalisiert: für rassenideologische und volksvergötzende Ideen.
    Großen Anteil daran hatten die verqueren Reflexionen eines hochintelligenten Menschen: Houston Stewart Chamberlain, Schwiegersohn Cosima Wagners. Dieser Chamberlain, Pangermane, Antisemit und ein Stichwortgeber Hitlers, definierte Rasse als »lebens-, kultur- und kraftspendendes Prinzip der Welt, Antriebskraft für Geschichte, Kunst und Kultur« – wobei er unterschied zwischen höherwertigeren Rassen und minderwertigeren, eben edlen und unedlen. Rassenmischung führe ins »Völkerchaos«, ein schrecklicher Begriff.
    Ein Erretter der Welt musste her – es war der Germane respektive der Deutsche. Weil er eine »besondere wissenschaftliche und künstlerische Begabung« besitze, von »hochgeistigem und sittlichem Entwicklungsstand« sei und von »überragender staatsbildender Kraft«. Wer dies anders sah, dem warf Chamberlain »schändliche Denkfaulheit« oder »schamlose Geschichtslüge« vor. Juden hingegen, fabulierte er im Kapitel »Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte«, hätten – notabene! – bei ihrem »Eintritt in die europäische Geschichte« ein »fremdes Element« bedeutet, »fremd gegen das, was Europa bereits geleistet hatte, fremd gegen das, was es noch zu leisten berufen war«. So wurde ein mörderisch endender Gegensatz konstruiert: Arier, die Herrenmenschen, »diese erlauchte Menschenfamilie, unbestreitbar edelster weißer Abkunft«, wie der
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