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Die Geliebte des Kosaken

Die Geliebte des Kosaken

Titel: Die Geliebte des Kosaken
Autoren: Megan McFadden
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Pferden, die nach der langen Reise mit Stroh abgerieben, gefüttert und getränkt werden mussten.
    Natalja war in den ersten Stock hinaufgestiegen, und da ihr Zimmer noch nicht gerichtet war, hatte sie die weißen Flügeltüren zum großen Salon geöffnet. Der weite Raum war von sanftem, durchsichtigem Licht durchflossen und schien in einem kühlen Zauberschlaf zu liegen. Waren es die hellen Tücher, mit denen Marfa Sessel und Sofas zum Schutz gegen den Staub bedeckt hatte, oder die ungewohnte Stille? Ach nein, es war das Licht, dieses perlmuttfarbene, matte Licht, welches die ganze Nacht über andauern würde, das Licht des Sommers und der weißen Nächte. Fröstelnd zog sie den Umhang enger um den Oberkörper und ging zu dem großen Flügel hinüber, der unter den Tüchern wie ein bleicher Katafalk wirkte.
    War dies wirklich derselbe Ort? Hier an diesem Flügel hatte sie gesessen, Stimmengewirr und frohes Gelächter in den Ohren, den warmen Schein des Kaminfeuers und der vielen Kerzen verspürend, die tanzenden Paare vor Augen, denen sie aufspielte. Man hatte eine Quadrille formiert, und sie hatte sich zum Leidwesen all ihrer Verehrer bereit erklärt, den Part am Flügel zu übernehmen, denn es gab im ganzen Raum keinen einzigen Kavalier, der ihr einen Tanz wert gewesen wäre. Natalja hatte sich den Klängen der Musik hingegeben, nur hin und wieder einen Blick auf die Noten geworfen, denn sie kannte die Tänze fast auswendig, die Finger spielten sie ohne ihr Zutun.
    Dann, plötzlich, hatte sie eine Unruhe unter den Anwesenden gespürt, Gesichter wandten sich zur Tür, einige der Tanzenden gerieten für einen Augenblick aus dem Takt, verzückte Mienen waren zu sehen, leises Geflüster unter ihren Freundinnen. Ein Diener hatte die Flügeltüren geöffnet, um einen verspäteten Gast eintreten zu lassen.
    Oleg Pawlowitsch Petrow blieb für einen Moment unbeweglich im Türrahmen stehen, so als böte er sich gern und mit Bedacht den vielen neugierigen Blicken. Seine Körperhaltung war lässig, gleichzeitig aber von selbstbewusster Eleganz, die enge rote Husarenuniform brachte seinen schlanken Wuchs, die schmalen Hüften und die breiten Schultern gut zur Geltung. Natalja erinnerte sich, dass sein helles, gewelltes Haar im Schein des Wandleuchters schimmerte, als umgebe ihn eine goldene Aureole.
    „Der Nonpareil“, flüsterte ihr eine Freundin zu, „in diesem Winter hat er bisher nur wenige Bälle und Gesellschaften durch seine Gegenwart ausgezeichnet. Ihr habt wirklich Glück, Natalja!“
    Er hatte kurz einige Bekannte begrüßt, Nataljas Großmutter galant die Hand geküsst und einige Worte mit ihr gewechselt, dann war er scheinbar absichtslos und wie zufällig zum Flügel hinübergeschlendert.
    „Französische Tänze“, sagte er in einem weichen, wohlklingenden Bariton und beugte sich ein wenig hinunter, um über ihre Schulter hinweg in die Noten zu sehen. „Sie sind also auch eine Anbeterin all dessen, was das große Frankreich zu uns hinübersendet?“
    Sie spürte seine Nähe so intensiv und erregend, dass sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufrichteten. Dennoch war es ihr gelungen, ohne einen einzigen Fehler weiterzuspielen.
    „Keineswegs“, gab sie betont schnippisch zurück, „ich verehre Voltaire und die Denker der großen Revolution. Aber ich verabscheue die Greuel der Jakobiner, und ich hasse Napoleon.“
    Darauf hörte sie ein leises, tiefes Lachen hinter sich und fühlte für einen winzigen Augenblick seine Hand auf ihrer Schulter.
    „Sie wollen sich die Rosinen aus dem Kuchen suchen und den Teig liegenlassen, schöne Dame.“
    „Oh nein, ich trenne nur die Spreu vom Weizen, mein Herr!“
    Später hatte eine Freundin sie am Flügel abgelöst, Oleg führte sie sogleich zum Kamin, und sie plauderten einige Minuten miteinander. Voller Entzücken vernahm sie, dass auch er der Meinung war, Russland müsse sich den Ideen der französischen Freiheitsdenker öffnen, die Leibeigenschaft abschaffen und ein Parlament etablieren. Während er sprach, spürte sie die Hitze des knisternden Kaminfeuers, und wenn sie in seine lächelnden, grauen Augen sah, schien es Natalja, als hülle sein Blick sie vollkommen ein, so dass sie kaum noch wahrnahm, was um sie herum geschah.
    Wie lange hatten sie dort gestanden? Fünf Minuten oder eine halbe Stunde? Sie hätte es nicht sagen können. Sicher war nur, dass sie wie aus einem Traum erwachte, als er sich mit einer kurzen Verbeugung von ihr verabschiedete. Noch
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