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Die Geliebte des Kosaken

Die Geliebte des Kosaken

Titel: Die Geliebte des Kosaken
Autoren: Megan McFadden
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jemals heimgesucht hatten. Meine Mutter, die ich niemals hatte laut werden hören, schrie so laut und anhaltend, dass ich mir die Ohren zuhalten musste und es trotzdem noch schmerzhaft schrill an mein Trommelfell brandete. Ein kleiner Hund mit dem Kopf meines Vaters knabberte übermütig an ihren Pantoffeln, und sie trat ihn weg, so dass er in weitem Bogen davonflog. Aber bevor er aufschlug, verwandelte er sich in einen Vogel, der sich in die Höhe schraubte, bis er nicht mehr zu sehen war. Meine Mutter schrie immer noch, den Kopf in den Nacken gelegt. Ich konnte ihre Wut, ihre Enttäuschung und ihren Zorn fühlen, als seien es meine eigenen Gefühle, und sie machten mir Angst. Um sie herum war Leere. Nichts existierte darin als dieser Zorn, schwarz und erstickend.
    Und dann sah ich mich. Ich versuchte, zu meiner Mutter zu gelangen, aber die dunklen Schwaden reichten mir bereits bis zum Hals, umhüllten mich, versuchten mich zu verschlingen. In panischer Angst schrie ich auf und erwachte – schweißnass, aber sicher in meinem Bett.
    Es war noch früh. Die Straßenlaternen brannten hell, nur gedämpft durch den morgendlichen Nebel. Normalerweise hätte ich jetzt aufstehen müssen, aber ich hatte noch zwei Tage Sonderurlaub wegen »Todes eines Angehörigen ersten Grades«.
    Mein nass geschwitzter Pyjama klebt unangenehm an der Haut. Ich konnte genauso gut aufstehen und nach meinen Pflanzen sehen, die ich die letzten Tage vernachlässigt hatte. Im Bad stand wie ein Fremdkörper Tante Hildes Kulturbeutel. Ihm entströmte leichter Kampfergeruch, der Duft von Lavendel und Rosencreme. Ihre Zahnbürste hatte sie in ein Glas aus dem Küchenschrank gestellt. Irgendwie war ich ihr dankbar, dass sie Mutters goldgeränderten Porzellanbecher unberührt gelassen hatte. Ich hatte ihn bereitgestellt für die Zeit, wenn sie wieder aus dem Krankenhaus entlassen würde. Dieses Mal aber war sie nicht wieder nach Hause gekommen wie so oft zuvor.
    Ich fröstelte. Die Heizung lief noch auf Nachtbetrieb. Mutter hatte es unnötig gefunden, sie nach meinen Zeiten zu programmieren. »Du bist so schnell angezogen, da ist es absolute Geldverschwendung, für die Viertelstunde die Heizung laufen zu lassen«, war stets ihre Meinung gewesen. In einer Anwandlung von Trotz überlegte ich, das heiße Wasser laufen zu lassen, entschied mich dann aber dagegen.
    Im Gewächshaus brannte noch die Röhre mit dem ultravioletten Licht und tauchte die Pflanzen in gespenstische Nuancen. Ich sah auf die Uhr; jeden Moment würde die Zeitschaltuhr die Tageslichtröhre einschalten. In dem düsteren Zwielicht schimmerten die weißen wachsartigen Blüten, als leuchteten sie aus sich heraus. Eigentlich zog ich das kräftige Rosa der Cattleyen vor, aber die Phalaenopsis blühten reicher und zeigten sich überhaupt so wuchsfreudig, dass Weiß inzwischen zur vorherrschenden Farbe geworden war.
    Die feuchte Wärme hatte sich auf den Fensterscheiben niedergeschlagen und sie mit einem Film überzogen, der meine Welt isolierte. Ich griff nach der Messingkanne mit dem abgestandenen Wasser und begann die Topfreihen zu kontrollieren. Der elegant geschwungene Griff schmiegte sich in meine Hand. Sie war so filigran gearbeitet, dass man mit ihrer feinen Spitze einzelne Tropfen dosieren konnte. Mutter hatte sie mir, zusammen mit einem Paar lederner Gartenhandschuhe, letzte Weihnachten geschenkt.
    In meiner Lehrzeit, wie ich es nannte, hatte ich erschreckend viele Pflanzen verloren, weil ich sie zu nass hielt. Und natürlich hatte ich gerade meine Favoriten in fehlgeleiteter Fürsorge zu Tode gegossen. Der so genannte grüne Daumen ist im Wesentlichen der richtige Einsatz des Daumens beim Befühlen der Blumenerde.
    Die Sonne ging auf, ohne dass ich von ihr Notiz nahm. Erst das scharrende Geräusch, mit dem die Glastür schnell geöffnet und wieder geschlossen wurde, schreckte mich aus meiner Tätigkeit.
    »Hier also steckst du! Ich muss sagen: Es ist wirklich beeindruckend.« Tante Hilde in ihrer altmodisch-adretten Bluse und einem Paar Hosen, von dem es immer so schön heißt »nichts kneift, nichts zwickt«, schaute sich bewundernd um. »Du hättest Gärtnerin werden sollen. Das wirkt richtig professionell.«
    Ich war es nicht gewöhnt, hier jemanden bei mir zu haben, und irgendwie irritierte mich dieser Einbruch in meine ureigene Privatsphäre. Aber um nicht unfreundlich zu erscheinen, stellte ich ihr meine schönsten Exemplare vor. Sie war fassungslos: »Und die hast du wirklich
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