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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Autoren: Arthur Golden
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hängen. Mit diesem Gesicht fertig zu werden war ein ständiger Kampf, und man sah ihm die Anstrengung an.
    Als ich sechs oder sieben war, erfuhr ich etwas Neues über meinen Vater. Eines Tages fragte ich ihn: »Papa, warum bist du so alt?« Daraufhin zog er die Brauen hoch, so daß sie kleine Schirme über seinen Augen bildeten. Er stieß einen langen Seufzer aus, schüttelte den Kopf und antwortete: »Ich weiß es nicht.« Als ich mich an meine Mutter wandte, warf sie mir einen Blick zu, der bedeutete, daß sie mir die Frage ein andermal beantworten werde. Am folgenden Tag führte sie mich, ohne ein Wort zu sagen, den Hügel hinab zum Dorf und bog in einen Pfad ein, der zu einem Friedhof im Wald führte. Sie zeigte mir drei Gräber in einer Ecke, mit drei weißen Holztafeln, die mich um einiges überragten. Sie waren von oben bis unten mit streng wirkenden schwarzen Schriftzeichen bedeckt, aber ich hatte die Schule in unserem kleinen Dorf nicht lange genug besucht, um zu erkennen, wo das eine endete und das andere begann. Meine Mutter zeigte auf eine Tafel und sagte: »Natsu, Ehefrau von Sakamoto Minoru.« Sakamoto Minoru hieß mein Vater. »Gestorben im Alter von vierundzwanzig Jahren im neunzehnten Regierungsjahr des Meiji.« Dann zeigte sie auf die nächste. »Jinichiro, Sohn von Sakamoto Minoru, gestorben im Alter von sechs Jahren im neunzehnten Regierungsjahr des Meiji.« Und auf die nächste, deren Text genauso lautete, bis auf den Namen, Masao, und das Alter, drei Jahre. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, daß mein Vater vor langer Zeit schon einmal verheiratet gewesen und seine ganze Familie gestorben war. Kurze Zeit darauf kehrte ich noch einmal zu diesen Gräbern zurück, und als ich dort stand, mußte ich feststellen, daß Trauer eine sehr schwere Bürde war. Mein Körper wog doppelt soviel wie einen Moment zuvor, fast so, als zögen die Gräber mich zu sich herab.
    Bei soviel Wasser und soviel Holz hätten die beiden zu einem schönen Gleichgewicht kommen und Kinder mit der angemessenen Verteilung von Elementen produzieren müssen. Bestimmt waren sie sehr überrascht, als sie letztendlich von jedem eins bekamen. Denn es war nicht nur so, daß ich meiner Mutter glich und sogar ihre auffallenden Augen geerbt hatte, nein, meine Schwester Satsu war meinem Vater so ähnlich, wie ein Mensch es nur sein kann. Satsu war sechs Jahre älter als ich, und da sie älter war, konnte sie natürlich Dinge tun, die ich nicht tun konnte. Aber erstaunlicherweise wirkte alles, was Satsu tat, als geschähe es aus reinem Zufall. Wenn man sie zum Beispiel bat, aus einem Topf auf dem Herd eine Schale mit Suppe zu füllen, tat sie das, aber auf eine Art, die es aussehen ließ, als hätte sie die Suppe mit sehr viel Glück in die Schale praktiziert. Einmal schnitt sie sich sogar an einem Fisch, und damit meine ich nicht das Messer, das sie benutzte, um den Fisch zu schuppen. Sie kam mit einem in Papier gewickelten Fisch den Hügel vom Dorf herauf, als der Fisch herausrutschte und so gegen ihr Bein schlug, daß sie sich an einer der Flossen schnitt.
    Unsere Eltern hätten außer Satsu und mir vielleicht noch andere Kinder bekommen, vor allem, da sich mein Vater einen Sohn wünschte, der mit ihm fischen gehen könnte. Doch als ich sieben war, erkrankte meine Mutter schwer an einem Leiden, das vermutlich Knochenkrebs war, obwohl man damals noch keine Ahnung hatte, was mit ihr los war. Erleichterung fand sie nur, wenn sie schlief, und das tat sie allmählich fast so wie eine Katze, also mehr oder weniger ununterbrochen. Im Lauf der Monate verschlief sie immer mehr von ihrer Zeit, und sobald sie aufwachte, begann sie zu stöhnen. Ich wußte, daß sich irgend etwas in ihr rasend schnell veränderte, aber weil sie soviel Wasser in ihrer Persönlichkeit hatte, schien mir das nicht sehr besorgniserregend zu sein. Manchmal magerte sie innerhalb weniger Monate ab, nahm aber ebenso schnell wieder zu. Doch als ich neun geworden war, begannen sich die Knochen in ihrem Gesicht immer mehr abzuzeichnen, und von da an gewann sie nie wieder ihr altes Gewicht zurück. Mir war nicht klar, daß die Krankheit das ganze Wasser aus ihrer Persönlichkeit sog. Genau wie Seetang, der von Natur aus naß ist, beim Austrocknen brüchig wird, verlor meine Mutter immer mehr von ihrer Substanz.
    Als ich dann eines Nachmittags auf dem unebenen Boden in unserem dunklen Vorderzimmer saß und einer Grille, die ich am Morgen gefunden hatte, etwas vorsang,
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