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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Autoren: Arthur Golden
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gefunden. Wenn ich auf der Straße mit den anderen Kindern das Bohnensäckchen hin und her warf und Herr Tanaka zufällig aus seiner Fischfabrik kam, hielt ich jedesmal mit allem, was ich gerade tat, inne, um ihn genau zu beobachten.
    Während ich da auf dem schleimigen Tisch lag, untersuchte Herr Tanaka meine Lippe, zog sie mit den Fingern herunter und drehte meinen Kopf hierhin und dorthin. Plötzlich entdeckte er meine grauen Augen, die so fasziniert auf ihn gerichtet waren, daß ich nie hätte bestreiten können, ihn angestarrt zu haben. Er grinste mich nicht hämisch an, wie um zu sagen, ich sei ein unverschämtes Kind, und er wandte auch nicht den Blick ab, als spielte es keine Rolle, daß ich ihn anstarrte oder was ich von ihm dachte. Wir sahen einander lange an – so lange, daß es mir dort, in der stickigen Luft der Fischfabrik, eiskalt über den Rücken lief.
    »Ich kenne dich«, sagte er schließlich. »Du bist die Kleine vom alten Sakamoto.«
    Selbst als Kind konnte ich erkennen, daß Herr Tanaka die Welt um sich herum so sah, wie sie wirklich war. Nie entdeckte ich an ihm den abwesenden Ausdruck meines Vaters. Für mich war es, als sähe er den Saft aus den Stämmen der Kiefern laufen und den hellen Kreis am Himmel, wo sich die Sonne hinter den Wolken versteckte. Er lebte ganz in der realen, greifbaren Welt, auch wenn es ihm dort nicht immer gefiel. Ich wußte, daß er die Bäume wahrnahm, den Schlamm und die anderen Kinder auf der Straße, aber ich hatte keinen Grund zu der Annahme, daß er jemals von mir Notiz genommen hätte.
    Vielleicht stiegen mir deshalb heiße Tränen in die Augen, als er mich ansprach.
    Herr Tanaka richtete mich zum Sitzen auf. Ich dachte, er werde mir befehlen zu gehen, statt dessen sagte er jedoch: »Versuch mal, möglichst kein Blut zu schlucken, Kleine. Sonst kriegst du einen Stein im Magen. An deiner Stelle würde ich es auf den Boden spucken.«
    »Das Blut eines Mädchens, Herr Tanaka?« fragte ihn einer der Männer. »Hier, wo sie den Fisch hinbringen?«
    Fischer sind nämlich überaus abergläubisch. Vor allem mögen sie es nicht, daß Frauen irgend etwas mit dem Fischfang zu tun haben. Ein Mann aus unserem Dorf, Herr Yamamura, fand seine Tochter eines Morgens, wie sie in seinem Boot spielte. Er schlug sie mit dem Stock und reinigte dann sein Boot mit Sake und so starker Lauge, daß sie ganze Farbstreifen aus dem Holz herausbleichte. Aber selbst das genügte ihm nicht, er ließ auch noch einen Shinto-Priester kommen, damit er das Boot segne. Und all das nur, weil seine Tochter dort spielte, wo Fische gefangen wurden. Und hier machte Herr Tanaka nun den Vorschlag, ich solle mein Blut auf den Boden des Raumes spucken, in dem die Fische gesäubert wurden!
    »Wenn ihr befürchtet, ihr Speichel könnte ein paar von den Fischinnereien davonspülen«, sagte Herr Tanaka, »nehmt sie doch einfach mit nach Hause. Ich habe noch jede Menge davon.«
    »Es geht nicht um die Innereien, Herr.«
    »Ich möchte annehmen, daß ihr Blut das Sauberste ist, was diesen Boden seit unserer Geburt berührt hat. Nur zu«, sagte Herr Tanaka, diesmal zu mir. »Spuck’s aus!«
    Da saß ich nun auf diesem schleimigen Tisch und wußte nicht, was tun. Herrn Tanaka einfach nicht zu gehorchen hielt ich für unmöglich, aber ich weiß nicht, ob ich den Mut gefunden hätte, auszuspucken, wenn nicht einer der Männer sich das Nasenloch mit einem Finger zugehalten und sich auf den Boden geschneuzt hätte. Nachdem ich das gesehen hatte, konnte ich nichts auch nur eine Sekunde länger im Mund behalten und spie das Blut aus, wie Herr Tanaka mir geraten hatte. Alle Männer verließen angewidert den Raum – bis auf Herrn Tanakas Assistent Sugi. Herr Tanaka befahl ihm, Dr. Miura zu holen.
    »Ich weiß nicht, wo ich ihn suchen soll«, behauptete Sugi, aber ich glaube, im Grunde meinte er damit, daß er keine Lust hatte, mir zu helfen.
    Ich erklärte Herrn Tanaka, der Doktor habe unser Haus vor wenigen Minuten verlassen.
    »Wo liegt euer Haus?« erkundigte sich Herr Tanaka.
    »Es ist das kleine, beschwipste Haus oben auf der Klippe.«
    »Was meinst du mit ›beschwipstes Haus‹?«
    »Das Haus, das sich zur Seite neigt, als hätte es ein bißchen zuviel getrunken.«
    Herr Tanaka schien nicht zu wissen, was er davon halten sollte. »Nun, Sugi, du gehst jetzt einfach hinauf zu Sakamotos beschwipstem Haus und suchst dort nach Dr. Miura. Du wirst ihn sicher mühelos finden. Geh einfach den Schreien seiner Patienten
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