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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Autoren: Arthur Golden
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starb seine Mutter, und dann lief sein älterer Bruder nach Osaka davon und ließ ihn allein. Klingt ein bißchen nach dir, meinst du nicht auch?« fragte Herr Tanaka und sah mich an, als wollte er sagen, ich solle es ja nicht wagen, anderer Meinung zu sein.
    »Also, der Name dieses Mannes ist Tanaka Ichiro«, fuhr er fort. »Jawohl, ich spreche von mir… obwohl ich damals Morihashi Ichiro hieß. Ich wurde mit zwölf Jahren von der Familie Tanaka aufgenommen. Als ich etwas älter geworden war, wurde ich mit der Tochter verheiratet und adoptiert. Jetzt helfe ich der Familie, die Fischfabrik zu leiten. So haben sich die Dinge für mich schließlich zum Guten gewendet, verstehst du? Vielleicht wird es dir ja genauso ergehen.«
    Einen Moment starrte ich auf Herrn Tanakas graue Haare und auf die Falten in seiner Stirn, die so zerfurcht wie Baumrinde war. Für mich war er der klügste und weiseste Mann der Welt. Ich war überzeugt, daß er Dinge wußte, von denen ich nie etwas erfahren würde, daß er eleganter war, als ich je sein würde, und daß sein blauer Kimono kostbarer war als alles, was ich je zu tragen bekommen würde. Splitternackt hockte ich da vor ihm auf der Erde, mit zerzaustem Haar und schmutzigem Gesicht, und meine Haut roch nach dem Teichwasser.
    »Ich glaube kaum, daß irgend jemand mich adoptieren würde«, sagte ich.
    »Glaubst du wirklich? Du bist doch ein kluges Mädchen, nicht wahr? Euer Haus als ›beschwipstes Haus‹ zu bezeichnen! Zu sagen, der Kopf deines Vaters sehe aus wie ein Ei!«
    »Aber er sieht aus wie ein Ei.«
    »Das Gegenteil zu behaupten wäre auch nicht klug gewesen. Aber nun lauf, Chiyo-chan«, sagte er. »Du willst doch sicher zu Mittag essen, nicht wahr? Vielleicht ißt deine Schwester gerade Suppe, dann kannst du dich auf den Boden legen und essen, was sie verschüttet.«
    Von jenem Augenblick an begann ich davon zu träumen, daß Herr Tanaka mich adoptieren werde. Manchmal vergesse ich, wie sehr ich in dieser Zeit litt – so sehr, daß ich wohl nach jedem Strohhalm gegriffen hätte, der mir ein wenig Trost versprach. Wenn mich die Sorgen plagten, kehrte ich oft in Gedanken zu einer Erinnerung an meine Mutter zurück, wie sie ausgesehen hatte, bevor sie jeden Morgen vor Schmerzen zu stöhnen begann. Als ich vier Jahre alt war, feierten wir im Dorf das bon-Fest, jene Zeit im Jahr, da wir die Geister der Toten bei uns willkommen heißen. Nach ein paar abendlichen Zeremonien auf dem Friedhof und Feuern vor den Haustüren, um den Geistern den Rückweg nach Hause zu weisen, versammelten wir uns am letzten Abend des Festes in unserem Shinto-Schrein, der auf den Felsen oberhalb der Bucht stand. Direkt hinter dem Tor zum Schrein lag eine Lichtung. An jenem Abend war sie mit bunten Papierlaternen geschmückt, die an Stricken zwischen den Bäumen hingen. Eine Zeitlang tanzten meine Mutter und ich mit den übrigen Dorfbewohnern zur Musik der Trommeln und einer Flöte, aber als ich dann müde wurde, wiegte sie mich am Rande der Lichtung auf ihrem Schoß. Plötzlich kam ein Windstoß die Klippen herauf, und eine der Laternen fing Feuer. Wir sahen zu, wie die Flamme den Strick durchbrannte, sachte kam die Laterne herabgeschwebt, bis der Wind sie wieder einfing und direkt auf uns zutrieb, einen Schweif aus goldenen Funken hinter sich herziehend. Meine Mutter ließ mich los, und plötzlich schlug sie mit beiden Armen auf das Feuer ein, um es zu zerteilen. Sekundenlang waren wir beide in Funken und Flammen gehüllt, doch dann trieben die Reste der brennenden Laterne zwischen den Bäumen hindurch und brannten aus, und niemand – nicht einmal meine Mutter – war zu Schaden gekommen.
    Als ich nach ungefähr einer Woche – meine Phantasievorstellungen von einer Adoption hatten reichlich Zeit gehabt zu reifen – eines Nachmittags nach Hause kam, saß Herr Tanaka meinem Vater an dem kleinen Tisch in unserem Haus gegenüber. Daß sie etwas Ernsthaftes zu besprechen hatten, merkte ich, weil sie mich nicht einmal wahrnahmen, als ich durch die Haustür trat. Ich blieb stehen, um ihnen zuzuhören.
    »Nun, Sakamoto, was halten Sie von meinem Vorschlag?«
    »Ich weiß nicht, Herr«, sagte mein Vater. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Mädchen irgendwo anders leben sollten.«
    »Ich verstehe Sie, aber es wäre viel besser für die beiden, und für Sie auch. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, daß sie morgen nachmittag ins Dorf herunterkommen.«
    Damit erhob sich Herr Tanaka, um zu gehen. Ich
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