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Die Geisel

Titel: Die Geisel
Autoren: Michael Katz Krefeld
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ihre Hand nach dem nächsten Geschenk ausstreckte.
    »Das ist jetzt schon das dritte Mal. Hans Henrik sagt, bei solchen Verbrechen an Kindern kommt man nie darüber hinweg.«
    Alle Gäste, die in der Nähe waren, scharten sich sofort um Jeanette. »Ist er an dieser Peter-Pan-Sache beteiligt?«, fragte ein älterer Oberarzt aus der Psychiatrie.
    Jeanette nickte bedeutungsschwer. »Er sieht sich die Leiche vor Ort an, draußen im Westwald, wo sie den Jungen gefunden haben.«
    Der Oberarzt hob die Brauen. »Sind sie denn sicher, dass es sich erneut um denselben Täter handelt?«
    Jeanette senkte die Stimme.
    »Das ist alles streng vertraulich. Aber Hans Henrik hat vorhin angerufen und erzählt, dass sie eins dieser kleinen Bilder gefunden haben.«
    »Ein Glanzbildchen?«
    Jeanette nickte. »Wieder mit Peter-Pan-Motiv. Und wisst ihr, was das Schlimmste ist?« Jeanette blickte von einem zum anderen, ehe sie fortfuhr: »Es war sein Geburtstag, genau wie beim vorigen Jungen.«
    Die Zuhörer schienen zu schaudern.
    Maja hörte nicht hin. Es ärgerte sie, dass Jeanette die Morde in ihr Haus gebracht hatte. Den ganzen Sommer hindurch hatte sie es vermieden, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Was schwer genug fiel, da die Morde in aller Munde waren. Jeden Tag veröffentlichten die Medien weitere makabre Details. Der Täter hatte alle seine Opfer betäubt, ehe er sie sexuell missbrauchte und erwürgte. Mittlerweile hatte er drei Jungen auf dem Gewissen und war offiziell zum ersten Serienmörder Dänemarks erklärt worden.
    »Haben sie denn noch keine anderen Spuren gefunden?«, erkundigte sich der Oberarzt.
    »Nein. Hans Henrik sagt, der Täter ist außerordentlich gerissen. Aber natürlich geben sie die Hoffnung nicht auf.«
    »Keine Blut- oder Speichelspuren?«
    »Nichts, nicht mal Sperma.«
    »Vielleicht sollten wir Hans Henrik und allen Mördern jetzt eine kleine Pause gönnen«, sagte Maja und lächelte diplomatisch.
    Jeanette warf ihr einen verlegenen Blick zu. »Entschuldige, ich wollte die Stimmung nicht verderben.«
    »Ist schon gut. Schau dir lieber an, was ich bekommen habe«, entgegnete Maja, um das Thema zu wechseln. Sie hielt den Kerzenleuchter von Georg Jensen hoch. Jeanette und die anderen nickten und lächelten pflichtschuldig. Kurz darauf strömten sie wieder in den Garten, um ihre Gespräche fortzusetzen.
     
    Maja blickte ihnen beklommen nach. Die Mordfälle machten ihr Angst. Sich vorzustellen, dass sie in dem Viertel geschahen, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, war mehr als unheimlich. Dabei war sie doch gerade hierher zurückgezogen, weil sie Walnuss dieselbe Sicherheit und Geborgenheit geben wollte, die sie selbst erlebt hatte. Ausgerechnet hier. Auf denselben Straßen und Wegen, auf denen sie früher herumgetobt hatte. Wo sie das Fahrradfahren gelernt und Himmel-und-Hölle gespielt hatte. Wo sie Flemming H. geküsst hatte, um ein Karamellbonbon zu bekommen. Und jetzt trieb hier ein Mörder sein Unwesen.
    Sie konnte wieder den Bach riechen. Er hatte nicht gerochen, als sie das Haus gekauft hatten, sondern sich nur idyllisch um den Garten gewunden. Doch die Hitze hatte das Algenwachstum explodieren lassen. Sie vermisste ihre Antihistaminika. Ein Gin Tonic wäre allerdings noch besser gewesen.
     
    Es war drei Uhr nachts, als sich die letzten Gäste verabschiedeten. Maja und Stig standen in der Tür des Kinderzimmers im ersten Stock. Er hielt sie von hinten umfasst. Obwohl sie sich schwitzig und klamm fühlte, war es schön, ihn zu spüren.
    »Glaubst du, dass du schlafen kannst?«
    Maja zuckte die Schultern. Sie fürchtete bereits, dass die angekündigte Tropennacht sie wachhalten würde.
    Das Kinderzimmer war der einzige Raum, der schon fix und fertig war. Frisch gestrichen und möbliert wartete er auf seinen Bewohner. Der Rest des Hauses war immer noch eine einzige Baustelle.
    »Wie schön, dass wir bei dem Wetter so lange draußen feiern konnten.«
    Stig nickte und küsste ihren Nacken.
    »Ich hab mir gedacht, mein Schatz, vielleicht sollten wir doch auf die Handwerker zurückgreifen«, sagte Maja.
    »Damit hier siebenundzwanzig Polacken rumlaufen? Schönen Dank auch. Dann mach ich das lieber alleine.« Sie hörte ihm an, dass er betrunken war.
    »Aber hast du denn nicht zu viel mit deinem Buch zu tun?«
    »Doch, natürlich.«
    »Okay«, entgegnete sie und starrte regungslos vor sich hin. Auf was für ein Riesenprojekt hatte sie sich da nur eingelassen? Haus. Eigene Praxis. Kind.
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