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Die Geisel

Titel: Die Geisel
Autoren: Michael Katz Krefeld
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Jungen.
    »Oliver … Oliver, bist du wach?«, fragte er leise. »Oliver …?«
    Oliver drehte sich auf die Seite, blinzelte und setzte sich halb auf. Søren sah ihm in die Augen. Er konnte nicht beurteilen, ob die Substanzen bereits ihre Wirkung entfalteten oder ob die Pupillen des Jungen deshalb so groß waren, weil er in diesem Moment einen Fremden in seinem Zimmer erblickte.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte Søren. Oliver starrte ihn schweigend an.
    »Ich habe ein Geschenk für dich«, fuhr Søren fort.
    Oliver blickte zur Tür hinüber. Er wollte aufstehen, aber dazu war ihm zu schwindelig. »Mama …«, stieß er mit erstickter Stimme aus.
    »Pst!« Søren hielt ihm den Zeigefinger an die Lippen. »Wir wollen die Erwachsenen da nicht mit reinziehen, Oliver. Du weißt doch, dass man Erwachsenen nicht trauen kann.«
    Olivers Blick war matt. Er schluckte den Speichel hinunter, der sich in seinem Mund gesammelt hatte. »Wer … Wer bist du?«
    »Ich bin Peter Pan«, antwortete Søren lächelnd.
    »Du … siehst aber nicht aus wie Peter Pan«, entgegnete Oliver.
    Søren lachte in sich hinein und flüsterte: »Das ist nur, weil wir noch nicht in Nimmerland sind.«
    Oliver versuchte, den Kopf zu heben. »Was machst du … in meinem Zimmer?«
    »Ich suche nach meinem Schatten. Kennst du denn nicht die Geschichte von Peter Pan?« Søren verschränkte die Arme und lächelte verschmitzt.
    »Doch, aber das ist doch nur ein Märchen.«
    »Märchen können auch wahr werden. Sonst wäre ich ja nicht hier.
    Oliver rieb sich die Augen. »Was willst du von mir?«
    »Nur Gutes, Oliver«, antwortete Søren und strich ihm zärtlich über die Stirn.
    »Woher weißt du, wie ich heiße?«
    »Ich kenne die Namen aller Kinder.«
    »Mein Kopf fühlt sich so komisch an.«
    »Das ist Glöckchen, die darin summt.« Søren kitzelte ihn leicht am Bauch, und Oliver konnte nicht anders als ein bisschen zu kichern. »Träumst du denn nicht davon, fliegen zu können?«
    Oliver schaute ihn überrascht an. »Jeden Tag, warum?«
    Søren bemerkte, dass Olivers Pupillen nun extrem vergrößert waren. Die Substanzen wirkten wie gewünscht.
    »Warum kommst du dann nicht mit mir nach Nimmerland?«
    »Nimmerland? Wo ist das?«
    »Beim zweiten Stern rechts und dann immer geradeaus, bis zum morgigen Tag.«
    »Braucht man dazu nicht einen Piloten…schein?« Er schien stolz darauf, ein so seltenes Wort zu kennen.
    »Nein, Oliver, das braucht man nicht in Nimmerland. Dort kann man tun und lassen, was einem gefällt. Und weißt du, was das Beste ist?«
    »Nein.«
    Søren beugte sich vor, formte die Hände zu einem Trichter und flüsterte Oliver etwas ins Ohr. Oliver warf Søren einen raschen Blick zu und wirkte immer noch erstaunlich klar im Kopf. »Wir wollen Piraten töten?«
    »Jeden Einzelnen von ihnen, auch Käpt’n Hook, ihren Anführer. Kennst du Käpt’n Hook?«
    »Ich hab schon von ihm gehört.«
    Søren runzelte die Stirn. »Vergiss alles, was du über ihn gehört hast. Er ist noch viel schlimmer - schlimmer sogar als der Teufel.«
    »Als der Teufel?«
    »Aber ja, sogar seine eigenen Männer fürchten ihn. Und die haben normalerweise vor gar nichts Angst.«
    »Aber will er dann nicht auch uns töten?«
    Søren schüttelte den Kopf.
    »Nicht, wenn wir in Nimmerland sind. In Nimmerland hat das Böse keine Macht. In Nimmerland sind es die Kinder, die bestimmen.«
    »Wirklich?«
    »Da kannst du dich drauf verlassen«, versicherte Søren. »Komm, lass uns aufbrechen.«
    Oliver sah plötzlich nachdenklich aus. »Ich glaube, dass darf ich nicht.«
    »Ach natürlich, ich hatte ja ganz vergessen, dass du noch ein kleiner Junge bist.« Søren knirschte mit den Zähnen.
    »Ich bin nicht klein! Ich bin schon neun Jahre alt.«
    Søren zuckte die Schultern. »Wir sind noch vor dem Morgengrauen wieder da. Wenn du mitkommst, habe ich ein Geschenk für dich.«
    »Was für ein Geschenk?«
    »Das darf ich dir leider nicht erzählen, ehe du nicht Ja gesagt hast.«
    Oliver konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Na gut, wenn wir ganz schnell wieder zurück sind …«
    Søren zog den Reißverschluss seiner Jacke ein Stück nach unten und steckte die Hand in die Innentasche. Er zog ein kleines, in Leder gebundenes Buch heraus. Peter Pan stand auf dem Umschlag. Er schlug das Buch auf; zwischen den Seiten lag ein ausgebleichtes Blatt mit Glanzbildern, die allesamt Peter-Pan-Motive zeigten.
    »Die sind sehr alt und sehr wertvoll. Unersetzlich, wenn du
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