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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente
Autoren: Hanns Kneifel
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Pässe, im Herbstregen und Wintersturm, über Schnee und Eis bis nach Sankt Gallen.
    »Eines Tages werde ich zurückkommen«, sagte Elazar erschöpft. »Mit vielen bewaffneten Männern. Dann wird Überlingen brennen.«
    »Das wirst du allein schwerlich schaffen. Auch nicht mit einem jüdischen Heer«, sagte der Rabbi.
    »Rache, das ist nicht deine Aufgabe. Ich allein bin die Rache, sagt der Herr, unser Gott, ich werde die Täter strafen.«
    Elazar leerte den Becher mit dem heißen Würzwein. Er starrte in das zerfurchte Gesicht des Rabbi, sah den grauen Bart und das Haupthaar und fragte: »Was soll ich tun?«
    »Suche und finde andere Männer, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie du. Rache wird dich nicht befriedigen. Aber wenn du ein Heer von Männern aufstellst, das niemals einen Andersgläubigen angreifen würde, dann bist du jedem deiner Feinde überlegen.«
    Elazar runzelte die Stirn.
    »Das verstehe ich nicht, Rebbeleben. Eben hast du noch gesagt, dass es unmöglich sei, ein jüdisches Heer aufzustellen.«
    Der Rabbi lächelte, nickte und füllte die Becher.
    »Du bist Jude. Finde einen Christen und einen Muslim. Oder noch besser: Ein Dutzend, zwei Dutzend von ihnen. Jeder dieser Männer muss mit der Religion der anderen in Frieden leben und den anderen lieben und verteidigen wie sich selbst. So, wie es im Buch der Christen steht.«
    »Ich bin kein Krieger, kein Kämpfer. Ich würde nie einen Muslim wegen seines Glaubens erschlagen«, antwortete Elazar. Er gähnte und sagte leise: »Manche Christen – ja! Die Überlinger…«
    »Du brauchst Schlaf. Du musst lange nachdenken, ehe du Heere aufstellst, die es nie geben wird.«
    »Ich bin müde, Rabbi Baruch.« Elazar sah ein, dass er der Unterhaltung nicht mehr folgen konnte. »Lasst mich schlafen. Lasst uns morgen weiter darüber reden. Ich bin froh, dass ich dank Eurer Großzügigkeit noch lebe.«
    Der Rabbi stand mit einiger Mühe unter Zuhilfenahme eines Stocks auf, umrundete den Tisch und nahm Elazar an der Hand. Er führte ihn durch eine schmale Tür in eine winzige, warme Kammer, mit gekalkten Wänden. Dort standen ein einfaches Bett, ein Stuhl und ein Wandbrett. Außerdem gab es eine brennende Kerze, einen Wasserkrug und eine Schüssel.
    »Vielleicht weckt dich der Lärm im Haus«, sagte Rabbi Baruch. »Schlaf, so lange du kannst. Du findest den Abtritt leicht – zweimal rechts, dann am Ende des Korridors.«
    Elazar verbeugte sich, ließ sich auf den Rand des Bettes sinken und flüsterte heiser: »Ich werde lange schlafen, Rabbi. Nochmals Dank. Vielleicht träume ich von einer Welt ohne Hass.«
    »Der Herr sei mit dir.«
    Elazar nahm nicht mehr wahr, wie der Rabbi den Raum verließ. Er streckte sich aus, zog die Decken bis zum Kinn und schlief augenblicklich ein.

19
    Suleiman und das Wagnis seiner Liebe
     
    Sie wirkten auf jeden Betrachter wie zwei junge Müßiggänger, die Pistazien knabbernd und lachend auf einer alten Mauer sitzen oder durch eine Gasse in der Nähe der Stadtmauer spazieren. Jetzt hockten sie auf einem Säulenfragment, und Suleiman warf ein Steinchen nach einer pickenden Taube.
    Als sie aufflatterte, sagte er in scheinbar gleichgültigem Ton: »Es ist sicherlich überflüssig, dir zu erzählen, dass es auch unter meinen Glaubensbrüdern solche gibt, die Allah nicht die liebsten sind – im Gegenteil.«
    »Ich habe einige davon kennen gelernt«, antwortete Sean gut gelaunt, »und einer von ihnen hat mich mit Steinen beworfen.«
    »Der gehört noch zu den Harmlosesten«, entgegnete Suleiman ungerührt. »Siehst du diesen Bettler dort?«
    Er zeigte auf eine Gestalt, die im Schatten eines Mauerwinkels kauerte, Kopf und Körper von einem dunklen Burnus und einem Tuch verhüllt, und eine Bettelschale vor sich auf dem löchrigen Pflaster.
    »Ich sehe ihn. Willst du, dass ich ihm mein letztes Geld in die Schale werfe?«
    »Nein. Du sollst mir zuhören. Ich bin erst am Anfang einer Erzählung, die dich vielleicht erfreut.«
    Neben Seans Schenkel sonnte sich eine kleine, grüne Eidechse. Als er sich bewegte und sein Schatten auf sie fiel, huschte sie mit zuckendem Schwanz davon.
    »Also los. Dann erfreue mich mit deiner Erzählung.«
    Suleiman schloss die Augen, schien seine Gedanken zu sammeln und sagte zögernd: »Vor Jahren haben wir uns zum ersten Mal gesehen, Mariam und ich. Ich wusste gleich, dass sie Christin ist, denn sie war nicht verschleiert. Wir haben ein paar Worte gewechselt; ihr Vater Sasa stand daneben und hat
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