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Die geheime Welt der Frauen

Titel: Die geheime Welt der Frauen
Autoren: Ilana Stanger-Ross
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»dann sehen Sie, wie gut er sitzt.« Sie wandte den Blick ab, als Timna ihr Shirt überstreifte, da der Akt des Anziehens irgendwie intimer war als der des Ausziehens. »Natürlich«, fügte Sima hinzu, als sich Timna vor dem Spiegel drehte, »ist das Karminrot ein bisschen zu dunkel für das lavendelfarbene Shirt, aber mit einem dunklen Pullover oder einem Kleid oder …« Sima machte eine Pause, »um wirklich Eindruck zu machen bei Ihrem Freund, mit sonst nichts …«
    Sima wurde rot: Das war eine Anspielung, die sie normalerweise nie wagte, und ganz gewiss nicht bei einer neuen Kundin. Sie schluckte und suchte verzweifelt nach etwas, was sie sagen könnte - Israel, dachte sie, frag irgendwas über Israel -, aber Timna lachte und sagte: »Absolut!«, und Sima grinste breit, als hätte sie bei einer Gameshow erraten, was sich hinter einer Tür befand.
    Timna schloss die Augen, faltete die Hände und streckte sich. Sima beobachtete, wie sie die Arme hob, tief einatmete und ihr ganzer Körper so geschmeidig und biegsam wirkte wie der eines Kindes. Sie starrte das Mädchen an: der zarte, rosige Ton seiner Augenlider, die glänzenden, leicht geöffneten Lippen, der weiße Hals zur Decke gebogen, und seine Brüste - Sima konnte einfach nicht anders, als auf Timnas Brüste zu starren, auf die volle Rundung unter dem lavendelfarbenen Shirt in dem dunkelroten BH.
    Timna öffnete die Augen.
    Sima blickte schnell weg, wusste aber durch die Art, wie Timna den Atem angehalten hatte, dass sie ertappt worden war.

    »Also, probieren Sie den schwarzen an«, sagte Sima schnell und ballte die Hände zu Fäusten, sodass ihre Fingernägel Halbmonde in die Handflächen gruben. »Hoffentlich passt er genauso gut. Wohnen Sie hier irgendwo in der Nähe?«
    »Ein paar Straßen weiter.« Timnas Stimme klang ausdruckslos. Es ließ sich nichts heraushören.
    »Das ist gut«, sagte Sima. »Wenn Änderungen nötig sein sollten, lassen Sie ihn einfach hier und holen ihn in ein oder zwei Tagen ab.« Sie zog den Vorhang zu und redete schnell, um ihre Scham zu verbergen - warum um alles in der Welt hatte sie das Mädchen angestarrt und sich dabei auch noch erwischen lassen? In all den Jahren, dachte sie, in all den vielen, vielen Jahren, nie ein ungewollter Blick. Sie redete weiter, in der Hoffnung abzulenken. »Sie zieht vielleicht um - meine Näherin. Wenn Sie mich fragen, es klingt einfach schrecklich: einer dieser trostlosen Orte mitten im Nirgendwo nördlich von New York, wo’s meilenweit nichts gibt als Gefängnisse und Tankstellen. Aber sie bildet sich ein, auf dem Land sei es besser als in der Stadt, also …«
    »Ach, ich könnte die Änderung auch selbst machen«, sagte Timna. »Ich hab zwar nie einen BH geändert, aber ich nähe mir manchmal Kleider …«
    »Wirklich?« Sima legte die Hand an den Hals, erleichtert, dass Timna mit ihr sprach und nicht aus Abscheu vor der lüsternen alten Frau entsetzt aus dem Laden gerannt war. »Wenn Sie Ihre eigenen Kleider nähen, kämen Sie damit sicher zurecht.« Sie warf einen Blick auf den unbesetzten Platz der Näherin, mit der Nähmaschine auf einer alten Schulbank und einem dunkelgrünen Stuhl, über dem ein weißer Schal hing. »Wir machen bloß einfache Änderungen - Abnäher, Kürzen oder Verlängern der Träger …«
    Die Türglocke bimmelte, als zwei Teenager in den Laden traten, Hadassahs Tochter mit einer Freundin, die Sima nicht kannte.
Sima winkte ihnen zu, dankbar für die Unterbrechung. Sie sprach laut, damit Timna sie hören konnte. »Was kann ich für euch tun? Was braucht ihr?«, fragte sie, bemüht, sich als eifrige Verkäuferin zu geben, der es ernsthaft um die Passform ging.
    »Meine Mom hat gesagt, dass Sie jetzt auch Yoga-Anzüge führen«, sagte Hadassahs Tochter. Sima nickte zustimmend und half ihnen, ein paar Outfits auszusuchen, wohl wissend, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die eine oder andere fragen würde, als wäre es ihr ganz plötzlich eingefallen, ob sie ein BH-Slip-Set, einen seidenen Pyjama oder einen hochgeschlitzten japanischen Kimono anprobieren dürfte. Am Schluss würden sie nur den Yoga-Anzug kaufen - wo könnten sie solch ausgefallene Wäsche auch verstecken, und was für Ärger bekämen sie, wenn sie gefunden würde! Aber Sima hatte nichts gegen die Verkleidungsarien. Die Mädchen glaubten, sie probierten an, was sie in Zukunft tragen würden, ohne zu ahnen, was Sima wusste: Echte Frauen, müde und abgehetzt, die sich voller Wehmut an ihren
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