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Die Gefangene des Highlanders

Die Gefangene des Highlanders

Titel: Die Gefangene des Highlanders
Autoren: Megan MacFadden
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verlangte sechs Flaschen „klassischen“ Barolo. Bei dem Wort „klassisch“ hob Lotte fast unmerklich die linke Augenbraue, was, wie Rike wusste, ätzenden Spott ausdrückte. Sie beobachtete fasziniert, wie sich ihre Freundin dem Kunden widmete, wie sie ihm Wein zu kosten einschenkte, seinen „geschulten Geschmack“ pries, sein „sicheres Urteil“, und ihn so immer mehr für sich einnahm. Lotte liebte gutes Essen und hervorragende Weine, erfreute sich demzufolge üppiger Kurven und lebte in dem Wahn, schwarze, eng anliegende Kleider mit tiefgezogenem Ausschnitt machten schlanker. Vielleicht mogelten sie ja tatsächlich zehn, zwanzig Gramm von ihren Rippen und Hüften; alles Übrige präsentierten sie aber in einem derart vorteilhaften Licht, dass Lottes Kunden zu neunzig Prozent aus Männern bestanden – sehr zu ihrer Freude.
    „Weißt du, Rike, Männer sind viel leichter zufriedenzustellen als Frauen“, hatte sie ihr einmal erklärt. „Sie sind großzügiger, begeisterungsfähiger, weniger wählerisch, und ob der Wein nun zu einem Hähnchenschlegel oder einer Entenbrust passt, ist den meisten nicht besonders wichtig; Hauptsache, er schmeckt ihnen und sie können sagen, er sei eine schicke Neuentdeckung und keinesfalls Mainstream.“ Innerhalb weniger Minuten füllte sich der Laden. „Komm nach Geschäftsschluss zu mir“, sagte Rike rasch. „Glaub mir, es ist wichtig!“
    „Okay. Machst du mir ein Käsebrot?“
    „Zwei.“
    „Ich komme bestimmt!“
    Auf dem Weg zum Parkhaus kaufte Rike eine Tüte Wibele und steckte sich sofort genussvoll ein paar in den Mund. Vor einem dunklen Schaufenster blieb sie stehen, prüfte ihr Spiegelbild und rümpfte die Nase. Um den Bauch herum hatte sie leider ein, zwei Pfund zu viel; der Rest von ihr, fand sie, war noch ganz passabel: Sie war mittelgroß und schlank, hatte dunkle Augen und Haare, die sie glatt und mit einem Seitenscheitel trug. Dass ihr Gesicht nur wenige Fältchen aufwies, lag am Erbgut und der sorgfältigen Pflege. Der Mund war in Ordnung, nicht zu groß und nicht zu klein, und mit der Lippenstiftfarbe hatte sie einen guten Griff getan.
    „Man könnte schlechter aussehen“, sagte sie halblaut zu ihrem Spiegelbild und ging beschwingt – das mochte an Lottes Wein liegen oder an den Wibele – zum Auto, fuhr aus der Tiefgarage heraus, zwischen Altem und Neuem Schloss durch die Unterführung und wenig später am Hauptbahnhof vorbei, wo sie einen Blick nach links auf den teuersten Weinberg der Welt warf: Stuttgart, die Stadt zwischen Wald und Reben. Hier, fast noch in der Innenstadt, wuchsen die Weinstöcke auf verwittertem Keuper und lehmigem Ton. Die gut anderthalb Hektar große Fläche gehörte seit 1938 der Industrie- und Handelskammer, die den höchst exklusiven Wein – zwei Drittel Trollinger, ein Drittel Riesling – an Honoratioren und bedeutende Gäste der Stadt verschenkte. Rike fragte sich stets, ob sich die Lage zu Recht vinologischer Edelsteine rühmte … oder doch nur saure Kratzer hervorbrachte. Sie lächelte und fuhr den Hang weiter hinauf. Ihr Haus lag in bevorzugter Halbhöhenlage; hier war die Luft besser als unten im Kessel, darüber hinaus hatte sie einen wunderbaren Blick über die Stadt und auf den Fernsehturm auf dem gegenüberliegenden Hügelzug. Bei klarem Wetter konnte sie sogar die Bergrücken der Alb und das dunkle Grün des Schurwalds sehen. Sie hielt kurz an, um die Aussicht zu genießen, dann öffnete sie das Garagentor mit der Fernbedienung, und der Wagen rollte in die Einfahrt.
    „Verdammt!“ Erschrocken trat sie auf die Bremse und ließ das Fenster herunter. „Elina!“ Ihre jüngere Tochter rannte um die Ecke.
    „Ich weiß, Ma, der Kinderwagen steht dir im Weg!“
    „Und ob er das tut! Ich wusste gar nicht, dass du kommst. Wo sind die Kinder?“
    „Pa ist mit den beiden auf den Spielplatz gegangen. Du hast wieder Wibele gegessen, ich seh’s an den Krümeln auf deinem Pulli. Hast du welche übriggelassen?“
    Rike knüllte die leere Tüte zusammen. „Du hast dich nicht angekündigt.“ Während sie wartete, bis Elina den Kinder wagen zur Seite geschoben hatte, dachte sie wieder einmal, dass man ihrer zierlichen Tochter das Alter wirklich nicht ansah. An diesem Tag betonte sie ihr mädchenhaftes Aussehen mit zwei absurden, weil ausgesprochen kurzen Zöpfchen. Zu engen, wadenlangen Jeans mit grünem Gürtel und Ballerinas in demselben Grünton trug sie ein pinkfarbenes T-Shirt, darüber ein Trägerhemd in
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