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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Weltgedanke,
der große, in der Brust geblieben.

    Denn so ist sie, wie ich sie dachte;
ein jeder Zwiespalt ist vertost:
auf goldnen Sonnenflügeln sachte
umschwebt mich grüner Waldestrost.

    X
    Wenn das Volk, das drohnenträge,
trabt den altvertrauten Trott,
möcht ich weiße Wandelwege
wallen durch das Duftgehege
ernst und einsam wie ein Gott.

    Wandeln nach den glanzdurchsprühten
Fernen, lichten Lohns bewußt; –
um die Stirne kühle Blüten
und von kinderkeuschen Mythen
voll die sabbatstille Brust.

    XI
    Weiß ich denn, wie mir geschieht?
In den Lüften Düftequalmen
und in bronzebraunen Halmen
ein verlornes Grillenlied.

    Auch in meiner Seele klingt
tief ein Klang, ein traurig-lieber, –
so hört wohl ein Kind im Fieber,
wie die tote Mutter singt.

    XII
    Schon blitzt aus argzerfetztem Laken
der holde, keusche Götternacken
der früherwachenden Natur,
und nur in tiefentlegnen Talen
zeigt hinter violetten, kahlen
Gebüschen sich mit falschem Prahlen
des Winters weiße Sohlenspur.

    Hin geh ich zwischen Weidenbäumen
an nassen Räderrinnensäumen
den Fahrweg, und der Wind ist mild.
Die Sonne prangt im Glast des Märzen
und zündet an im dunkeln Herzen
der Sehnsucht weiße Opferkerzen
vor meiner Hoffnung Gnadenbild.

    XIII
    Fahlgrauer Himmel, von dem jede Farbe
bange verblich.
Weit – ein einziger lohroter Strich
wie eine brennende Geißelnarbe.

    Irre Reflexe vergehn und erscheinen.
Und in der Luft
liegts wie ersterbender Rosenduft
und wie verhaltenes Weinen …

    XIV
    Die Nacht liegt duftschwer auf dem Parke,
und ihre Sterne schauen still,
wie schon des Mondes weiße Barke
im Lindenwipfel landen will.

    Fern hör ich die Fontäne lallen
ein Märchen, das ich längst vergaß, –
und dann ein leises Apfelfallen
ins hohe, regungslose Gras.

    Der Nachtwind schwebt vom nahen Hügel
und trägt durch alte Eichenreihn
auf seinem blauen Falterflügel
den schweren Duft vom jungen Wein.

    XV
    Im Schooß der silberhellen Schneenacht
dort schlummert alles weit und breit,
und nur ein ewig wildes Weh wacht
in einer Seele Einsamkeit.

    Du fragst, warum die Seele schwiege,
warum sie’s in die Nacht hinaus
nicht gießt? – Sie weiß, wenns ihr entstiege,
es löschte alle Sterne aus.

    XVI
    Abendläuten. Aus den Bergen hallt es
wieder neu zurück in immer mattern
Tönen. Und ein Lüftchen fühlst du flattern
von dem grünen Talgrund her, ein kaltes.

    In den weißen Wiesenquellen lallt es
wie ein Stammeln kindischen Gebetes;
durch den schwarzen Tannenhochwald geht es
wie ein Dämmern, ein jahrhundertaltes.

    Durch die Fuge eines Wolkenspaltes
wirft der Abend rote Blutkorallen
nach den Felsenwänden. – Und sie prallen
lautlos von den Schultern des Basaltes.

    XVII
    Weltenweiter Wandrer,
walle fort in Ruh …
also kennt kein andrer
Menschenleid wie du.

    Wenn mit lichtem Leuchten
du beginnst den Lauf,
schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf.

    Drinnen liegt – als riefen
sie dir zu: Versteh! –
tief in ihren Tiefen
eine Welt voll Weh …

    Tausend Tränen reden
ewig ungestillt,
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild!

    XVIII
    Möchte mir ein blondes Glück erkiesen;
doch vom Sehnen bin ich müd und Suchen. –
Weiße Wasser gehn in stillen Wiesen,
und der Abend blutet in die Buchen.

    Mädchen wandern heimwärts. Rot im Mieder
Rosen; ferneher verklingt ihr Lachen …
Und die ersten Sterne kommen wieder
und die Träume, die so traurig machen.

    XIX
    Vor mir liegt ein Felsenmeer,
Sträucher, halb im Schutt versunken.
Todesschweigen. – Nebeltrunken
hangt der Himmel drüber her.

    Nur ein matter Falter schwirrt
rastlos durch das Land, das kranke …
Einsam, wie ein Gottgedanke
durch die Brust des Leugners irrt.

    XX
    Die Fenster glühten an dem stillen Haus,
der ganze Garten war voll Rosendüften.
Hoch spannte über weißen Wolkenklüften
der Abend in den unbewegten Lüften
die Schwingen aus.

    Ein Glockenton ergoß sich auf die Au …
Lind wie ein Ruf aus himmlischen Bezirken.
Und heimlich über flüstervollen Birken
sah ich die Nacht die ersten Sterne wirken
ins blasse Blau.

    XXI
    Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.

    Weit wie mit dichtem Demantstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.

    XXII
    Wie eine Riesenwunderblume prangt
voll Duft die Welt, an deren Blütenspelze,
ein Schmetterling mit
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