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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Kirchturmkreuz herüber,
aus Fichten ragt der Hegerhütte Bau; –
und drüber
wölbt sich ein Himmel, blank und blau.

    DAS HEIMATLIED

    Vom Feld klingt ernste Weise;
weiß nicht, wie mir geschieht …
»Komm her, du Tschechenmädchen,
sing mir ein Heimatlied. « –

    Das Mädchen läßt die Sichel,
ist hier mit Husch und Hui, –
setzt nieder sich am Feldrain
und singt: »Kde domov muj« …

    Jetzt schweigt sie still. Voll Tränen
das Aug mir zugewandt, –
nimmt meine Kupferkreuzer
und küßt mir stumm die Hand.

TRAUMGEKRÖNT
(1896)

KÖNIGSLIED

    D arfst das Leben mit Würde ertragen,
nur die Kleinlichen macht es klein;
Bettler können dir Bruder sagen,
und du kannst doch ein König sein.

    Ob dir der Stirne göttliches Schweigen
auch kein rotgoldener Reif unterbrach, –
Kinder werden sich vor dir neigen,
selige Schwärmer staunen dir nach.

    Tage weben aus leuchtender Sonne
dir deinen Purpur und Hermelin,
und, in den Händen Wehmut und Wonne,
liegen die Nächte vor dir auf den Knien …

Träumen

    I
    Mein Herz gleicht der vergessenen Kapelle;
auf dem Altare prahlt ein wilder Mai.
Der Sturm, der übermütige Geselle,
brach längst die kleinen Fenster schon entzwei;
er schleicht herein jetzt bis zur Sakristei
und zerrt dort an der Ministrantenschelle.
Der schrillen Glocke zager Sehnsuchtsschrei
ruft zu der längst entwöhnten Opferstelle
den arg erstaunten fernen Gott herbei.
Da lacht der Wind und hüpft durchs Fenster frei.
Doch der Erzürnte packt des Klanges Welle
und schmettert an den Fliesen sie entzwei.

    Und arme Wünsche knien in langer Reih
vorm Tor und betteln an vermooster Schwelle.
Doch längst schon geht kein Beter mehr vorbei.

    II
    Ich denke an:

    Ein Dörfchen schlicht in des Friedens Prangen,
drin Hahngekräh;
und dieses Dörfchen verloren gegangen
im Blütenschnee.
Und drin im Dörfchen mit Sonntagsmienen
ein kleines Haus;
ein Blondkopf nickt aus den Tüllgardinen
verstohlen heraus.
Rasch auf die Türe, die angelheiser
um Hilfe ruft, –
und dann in der Stube ein leiser, leiser
Lavendelduft …

    III
    Mir ist: ein Häuschen wär mein eigen;
vor seiner Türe säß ich spät,
wenn hinter violetten Zweigen
bei halbverhalltem Grillengeigen
die rote Sonne sterben geht.

    Wie eine Mütze grünlich-samten
steht meinem Haus das moosge Dach,
und seine kleinen, dickumrammten
und blankverbleiten Scheiben flammten
dem Tage heiße Grüße nach.

    Ich träumte, und mein Auge langte
schon nach den blassen Sternen hin, –
vom Dorfe her ein Ave bangte,
und ein verlorner Falter schwankte
im schneeig schimmernden Jasmin.

    Die müde Herde trollte trabend
vorbei, der kleine Hirte pfiff, –
und in die Hand das Haupt vergrabend,
empfand ich, wie der Feierabend
in meiner Seele Saiten griff.

    IV
    Eine alte Weide trauert
dürr und fühllos in den Mai, –
eine alte Hütte kauert
grau und einsam hart dabei.

    War ein Nest einst in der Weide,
in der Hütt ein Glück zu Haus;
Winter kam und Weh, – und beide
blieben aus …

    V
    Die Rose hier, die gelbe,
gab gestern mir der Knab,
heut trag ich sie, dieselbe,
hin auf sein frisches Grab.

    An ihren Blättern lehnen
noch lichte Tröpfchen, – schau!
Nur heute sind es Tränen, –
und gestern war es Tau …

    VI
    Wir saßen beisammen im Dämmerlichte.
»Mütterchen«, schmeichelte ich, »nicht wahr,
du erzählst mir noch einmal die schöne Geschichte
von der Prinzessin mit goldnem Haar?« –

    Seit Mütterchen tot ist, durch dämmernde Tage
führt mich die Sehnsucht, die blasse Frau;
und von der schönen Prinzessin die Sage
weiß sie wie Mütterchen ganz genau …

    VII
    Ich wollt, sie hätten statt der Wiege
mir einen kleinen Sarg gemacht,
dann wär mir besser wohl, dann schwiege
die Lippe längst in feuchter Nacht.

    Dann hätte nie ein wilder Wille
die bange Brust durchzittert, – dann
wärs in dem kleinen Körper stille,
so still, wie’s niemand denken kann.

    Nur eine Kinderseele stiege
zum Himmel hoch so sacht, – ganz sacht …
Was haben sie mir statt der Wiege
nicht einen kleinen Sarg gemacht?

    VIII
    Jene Wolke will ich neiden,
die dort oben schweben darf!
Wie sie auf besonnte Heiden
ihre schwarzen Schatten warf.

    Wie die Sonne zu verdüstern
sie vermochte kühn genug,
wenn die Erde lichteslüstern
grollte unter ihrem Flug.

    All die goldnen Strahlenfluten
jener Sonne wollt auch ich
hemmen! Wenn auch für Minuten!
Wolke! Ja, ich neide dich!

    IX
    Mir ist: Die Welt, die laute, kranke,
hat jüngst zerstört ein jäh Zerstieben,
und mir nur ist der
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