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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin
Autoren: Astrid Fritz
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Frau schon anderes bieten als eine Anstellung in einem Bürgerhaushalt oder die Ehe mit einem Mann, dem sie für den Rest des Lebens Ehrfurcht und Respekt zollen musste. Nur selten, das wusste sie, traf es eine so glücklich wie ihre Mutter mit Jonas Marx, der seine Frau verehrte und liebte. Gut, in vielen Häusern hatten heimlich die Frauen die Hosen an, hielten sie selbst den Söhnen gegenüber die Zügel in der Hand. Doch kaum gab es weiterreichende Entscheidungen, galt man als Frau nicht viel mehr als ein unmündiges Kind.
    Agnes lehnte sich weit hinaus in die Abendluft, deren Wärme ihr nach diesem entsetzlich kalten Sommer wie eine Verheißung erschien. In der Kammer unten war es still geworden. Offenbar hatte die Mutter in ihrer so liebevollen wie unnachgiebigen Art Matthes zur Vernunft gebracht. Vom Marienplatz her drang Gelächter, dann Musik herauf. Mit einem Ruck schloss Agnes dieLuke und trat mit geballten Händen an den Waschtisch. Nein, sie würde sich nicht einsperren lassen wie ein Stück Vieh. Sie hatte Kaspar versprochen zu kommen, und niemand würde sie zurückhalten.
    Nachdem sie sich gewaschen und ihr neues Leinenkleid angelegt hatte, flocht sie sich bunte Bänder in die widerspenstigen dunklen Locken, nahm ihre Schuhe in die Hand und tappte barfuß, so lautlos wie möglich, die Stiege hinunter zur Kammer ihrer Brüder. Ohne anzuklopfen trat sie ein.
    Jakob saß mit einem Buch in der Hand auf seinem zerschlissenen Lehnstuhl am Fenster, Matthes kauerte auf dem Bett und starrte an die Wand.
    «Und? Hast du deine dummen Soldatenträume begraben?»
    «Nein!»
    «Und warum bist du dann noch hier?»
    «Rutsch mir doch den Buckel runter.»
    «Hör zu, du großer Feldherr: Eine Hand wäscht die andere. Ich hab nicht verraten, dass du bei dem Werber warst, und ihr wisst nicht, dass ich jetzt noch nach draußen gehe. Und zwar ohne meine Brüder.»
    Jakob sah erstaunt von seinem Buch auf. «Du willst heimlich gehen? Wie willst du an der Stube vorbei, ohne dass dich jemand hört?»
    «Ach Jakob, mein Unschuldslämmchen. Als ob ihr beiden diesen Weg nicht bestens kennen würdet.»
    Durch ein schmales Türchen schlüpfte sie hinaus auf den Altan, auf dem die Wäsche trocknete. Sie knotete das Ende einer der Leinen auf und warf das freie Ende über die Brüstung. Jakob steckte den Kopf zum Fenster heraus.
    «Du bist verrückt geworden», sagte er.
    «Und wenn schon?» Sie warf ihre Schuhe in den Hof hinunter. «Bis später. Und lasst das Türchen offen.»
    Es ging leichter, als sie gedacht hatte. Vorsichtig seilte sie sichentlang dem breiten Pfeiler ab. Angst, dass das dünne Hanfseil ihr Gewicht nicht halten würde, brauchte sie nicht zu haben. Sie war viel zierlicher als Matthes, der schon oft auf diesem Weg dem elterlichen Haus entflohen war. Für sie bedeutete es das erste Mal, und sie grinste vor Stolz.
    Gebückt huschte sie durch den Gemüsegarten, stieg über die halbhohe Mauer zum Nachbargrundstück, dann über eine weitere Mauer, bei der sie erst auf ein Regenfass klettern musste, und stand schließlich im Kirchhof von Liebfrauen. Sie hatte es geschafft. Nur eine gute Stunde blieb ihr noch bis Einbruch der Dunkelheit, dann musste sie wieder im Hause sein, wollte sie nicht dem Nachtwächter oder der Stadtwache in die Arme laufen. Aber eine Stunde war besser als nichts.
    Auf der Bühne, die nichts weiter war als ein umgebautes Fuhrwerk mit Himmel aus verblichenem blauen Tuch und einem Vorhang im Hintergrund, sprach einer der Komödianten eben seine Schlussworte: «In Summa: Unsre Lebenszeit – ist lauter Traum und Eitelkeit!», dann fiel Trommelwirbel in den nicht eben leidenschaftlichen Beifall, und zwei Artisten machten ihre Faxen und Luftsprünge über die knarrenden Bretter. Agnes wusste: Als Nächstes würde der Höhepunkt folgen – der Auftritt des Lautenspielers und Zeitungssingers Kaspar Goldkehl.
    Sie bedauerte kaum, dass sie das Spiel der Komödianten verpasst hatte, denn ihr Stück frei nach der berühmten Tragödie
Cenodoxus
des Jesuiten Jacob Bidermann hatte vor zwei Tagen weder sie noch die anderen Zuschauer so recht begeistert. Die Geschichte des heuchlerischen Medicus von Paris, die die Zuschauer in Angst und Schrecken hätte versetzen sollen, war zu einer faden Posse heruntergekommen, lustlos gespielt und ohne jeden Aufwand in Szene gesetzt. Überhaupt schien es Agnes, dass diese Truppe ihre beste Zeit längst hinter sich hatte, mit ihren zerschlissenen Kostümen und spärlichen
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