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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin
Autoren: Astrid Fritz
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hast gehört, was Vater gesagt hat.» Marthe-Marie erhob sich und stapelte geräuschvoll die leeren Teller ineinander. «Entweder nimmst du Jakob mit, oder du bleibst zu Hause. Und jetzt geh mir in der Küche zur Hand.»
    Als sie wenig später das saubere Geschirr auf die Regalbretter räumten, hörten sie aus dem Erdgeschoss, wie mit plötzlichem Krachen eine Tür ins Schloss fiel, dann erscholl die laute Stimme von Jonas Marx. Kurz darauf zerrte er, das Gesicht hochrot vor Zorn, Matthes hinter sich her in die Küche.
    «Heimlich hinausschleichen wollte er sich, durch die Hintertür. In seinem besten Sonntagsstaat. Und den Knappsack hat er auch schon gepackt. Jetzt sag endlich, wohin du wolltest.»
    Trotzig biss sich Matthes auf die Lippen. Dabei warf er Agnes einen flehenden Blick zu.
    Ach Matthes, dachte sie, warum soll ich verraten, dass ich dich bei dem Werber gesehen habe? In diesem Aufzug verrätst du dich doch selbst.
    «Also?» Marthe-Marie musterte ihren Sohn von oben bis unten. Ganz blass sah sie plötzlich aus.
    «Wenn du den Mund nicht aufmachst, sage ich es.» Jonas riss ihm den Ranzen aus der Hand. «Du wolltest auf die Kuppelnau, dich zur Musterung eintragen lassen. Habe ich Recht?»
    Matthes schwieg.
    «Antworte mir gefälligst! Oder ist dir dein Soldatenherz schon vor der großen Schlacht in die Hose gerutscht?»
    Da ballte Matthes die Fäuste. «Gar nichts kannst du mir vorschreiben. Lieber will ich bei den Soldaten kämpfen, als weiter vor diesem Menschenschinder in der Werkstatt zu katzbuckeln.»
    Jonas holte aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
    «Habe ich richtig gehört?», brüllte er. «Mein Sohn, den ich nach Luthers Lehren zu einem friedfertigen Menschen erzogen habe, will sich für diese katholischen Kriegstreiber abschlachten lassen? Will mit nicht mal fünfzehn Jahren den Helden spielen? Und ob ich das verhindern kann – zur Not sperr ich dich ein, bis du wieder zu Verstand gekommen bist!»
    Noch nie hatte Agnes ihren Vater so wütend gesehen. Marthe-Marie strich ihm über den Arm, eine flüchtige Geste der Beruhigung und Zärtlichkeit zugleich.
    «Lass gut sein, Jonas. Ich bringe Matthes auf seine Kammer, und ihr sprecht morgen in aller Ruhe miteinander.»
    «Da gibt es nichts zu reden.» In den Augen des Schulmeisters blitzte noch immer der Zorn. «Dieser widerliche Krieg in Böhmen ist ein Krieg der Mächtigen, die nichts als Geld und Blut begehren. Niemals wird einer meiner Söhne zu dieser schmutzigen Schlächterei ausziehen. Nicht, solange ich lebe. Geht das in dein Hirn?» Er packte Matthes hart bei den Schultern. «Morgen werde ich ein Wörtchen mit deinem Meister reden, damit deine Schludrigkeiten ein Ende nehmen. Jetzt los auf eure Zimmer, aber sofort – auch du, Agnes.»
    Agnes stockte der Atem. «Aber du hast mir doch   –»
    «Du bleibst heute Abend im Haus.»
    Mit zusammengekniffenen Lippen folgte sie ihrem Bruder zur Küche hinaus, hörte eben noch, wie ihr Vater sagte: «Der Junge braucht eine härtere Hand!», dann stapfte sie hinauf in ihre kleine Dachkammer.
    Die harte Hand würde er beim Heer haben, dachte sie, und ihr Mitleid mit Matthes schlug in Groll um. Nur seinetwegen durfte sie nicht hinaus! Dabei hatte sie Kaspar treu und fest versprochen zu kommen. Und sie war es gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen – zumindest, was ihren Vater betraf. Sie trat mit dem Fuß die Tür hinter sich zu und starrte wütend aus der Luke über die Dächerder Stadt. Über den Hügeln im Osten begann es zu wetterleuchten.
    Aus der Kammer unter ihr hörte sie die Mutter auf Matthes einreden. Im Grunde konnte Agnes ihren Bruder verstehen. Ihn trieb es hinaus aus der Enge der Stadt, weg von seinem jähzornigen Meister, bei dem er das Horndrechseln lernen sollte. Finster lauschte Agnes den wehleidig-trotzigen Widerworten ihres Bruders. Es war so ungerecht: Natürlich war Matthes viel zu jung, um auf eigene Faust in die Fremde zu ziehen oder sich gar als Söldner zu bewerben. Doch in zwei, drei Jahren, wenn er sich ein wenig am Riemen riss, würde er die Gesellenprüfung ablegen und auf Wanderschaft gehen. Würde fremde Städte und Landschaften kennen lernen.
    Wie oft hatte sie sich gewünscht, als Junge geboren zu sein. Selbst um seine Lehre als Horndrechsler beneidete sie Matthes – doch als Mädchen eine Lehre zu beginnen, daran war nicht einmal zu denken. Auch wenn das in längst vergangenen Zeiten wohl nichts Ungewöhnliches gewesen war. Was konnte ihr das Schicksal als
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