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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin
Autoren: Astrid Fritz
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Haustür und ließ sie vorangehen in den angenehm kühlen Flur. In der Stube wartete bereits die Mutter mit Jakob, dem Jüngsten, am gedeckten Tisch.
    »Was ist mit dir? Du schaust so finster.» Prüfend betrachtete Marthe-Marie Mangoltin ihren Mann.
    «Diese gottverdammten Rattenfänger! Selbst Kinder machen sie verrückt mit ihrem Gefasel von Ruhm und Ehre. Meine Schulbuben haben heute über nichts anderes geschwatzt als über das Soldatenleben. Als ob sie mit ihren zwölf, dreizehn Jahren alt genug wären, um auf dem Schlachtfeld zu krepieren.» Jonas Marx blickte missmutig zur Tür. «Wo bleibt Matthes? Muss dieser Bengel fortwährend zu spät zum Essen kommen?»
    Mit rotem Gesicht stürzte der Gescholtene in die Stube, murmelte eine Entschuldigung und setzte sich an seinen Platz.
    «Können wir jetzt endlich anfangen zu essen?», herrschte Jonas den Jungen an.
    Agnes warf ihrem Vater einen Seitenblick zu. Der Werber, der seit gestern für den Prager Feldzug die Trommeln rührte, schien ihm vollkommen die Laune verdorben zu haben. Schweigend löffelten alle ihre Suppe.
    Jakob hob den Kopf.
    «Der Stadtarzt hat gesagt, ich darf ihn sonntags bei den Krankenbesuchen begleiten.»
    Jonas’ Miene hellte sich auf. «Soso, mit dem Herrn Stadtarzt. Ich hoffe, du vernachlässigst darüber nicht deine Studien.»
    Agnes wusste, wie stolz ihr Vater auf Jakob war, dem das Lernen so leicht fiel wie einem Vogel das Fliegen und der mit seinen dreizehn Jahren bereits eine Klassenstufe der Lateinschule übersprungen hatte. Jeder in der Familie bewunderte Jakob für diese Fähigkeit; Jakob selbst hingegen, in fast kindlicher Einfalt, schien dies gar nicht zu bemerken. Zumal ihr Vater seit jeher bemüht war, keines seiner drei Kinder zu bevorzugen – auch wenn ihm dies in letzter Zeit sichtlich schwer fiel. Matthes nämlich wurde zunehmend störrischer, brachte seinen Lehrherrn gegen sich auf oder ließ sich auf Händel mit irgendwelchen Gassenbuben ein.
    Verstohlen musterte Agnes ihre beiden ungleichen Brüder. Matthes, dunkel wie sie selbst und wie die Mutter, war im letzten halben Jahr unerwartet schnell in die Höhe geschossen. Der Flaum auf seiner Oberlippe verriet, dass er zu einem jungen Mann wurde. Das Ungestüme, fast Leichtsinnige, das ihn schon als kleines Kind in haarsträubende Situationen gebracht hatte, schien sich jetzt noch zu verstärken. Es war, als suche er täglich aufs Neue eine Herausforderung. Jakob hingegen, der Schmächtige, Nachdenkliche mit seinem strohblonden Haar, ging jedem Streit aus dem Weg und hatte dafür ein unendlich großes Herzfür alles Schwache und Hilflose. Sie konnte sich nicht erinnern, dass er je einen anderen Wunsch geäußert hatte als den, Medicus zu werden. Und zwar studierter Arzt. Jonas Marx hatte dazu bisher weder ja noch nein gesagt. Jakob solle zunächst seine Lateinschule absolvieren, dann werde man weitersehen.
    Unterschiedlicher konnten zwei Brüder nicht sein. Und doch liebte Agnes beide gleichermaßen, jeden auf seine Art. Fast fühlte sie sich verantwortlich für sie, als Schwester, die um etliche Jahre älter war. Oder besser gesagt: als Halbschwester. Ihr eigener, leiblicher Vater war schon bald nach Agnes’ Geburt am hitzigen Fieber gestorben.
    «Gibt es heute kein Brot zur Suppe?»
    «Herrje! Das Brot hab ich ganz vergessen. Es liegt noch im Korb.»
    Agnes sprang auf und holte den Laib Weißbrot, schnitt erst ihrem Vater, dann ihrer Mutter ein Stück ab.
    Jonas lächelte sie an. Sein Ärger war offensichtlich verflogen – dem Himmel sei Dank, denn Agnes hatte noch etwas auf dem Herzen.
    «Danke, meine Kleine.»
    Meine Kleine! Wann würde ihr Vater endlich einsehen, dass sie kein Kind mehr war? Sie war fast neunzehn! Andere hatten in diesem Alter bereits einen Ehemann, ihre eigene Haushaltung. Agnes holte tief Luft.
    «Erlaubt ihr mir, nach dem Essen noch auf den Marienplatz zu gehen? Nur für eine Stunde.»
    Jonas’ Miene verfinsterte sich erneut.
    «Zu den Komödianten? Wir haben doch erst vorgestern diese alberne Aufführung gesehen.»
    «Bitte!»
    Agnes sah zu ihrer Mutter. Für einen kurzen Moment glaubte sie so etwas wie Misstrauen in ihrem erstaunten Blick zu lesen.
    «Nun, weltbewegend fand ich diese Truppe zwar wirklichnicht.» Jonas strich sich das noch immer volle Haar aus der Stirn. «Aber wenn’s sein muss. Der Jakob geht mit. Und ihr seid gleich nach der Vorstellung wieder hier.»
    Agnes zog eine Grimasse. «Mein kleiner Bruder als Aufpasser!»
    «Du
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