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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin
Autoren: Astrid Fritz
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eine haben.»
    «Die Handfläche und den Daumen wirst du behalten, das versprech ich dir. Aber mit dem Kriegshandwerk ist’s trotzdem vorbei.»
    «Das ist es ohnehin. Ich bin es längst müde geworden.»
    Jakob wies auf die Bank, die er neben die Schuppenwand gestellt hatte. Auf dem Stuhl daneben lagen saubere Tücher und die Amputiersäge. «Trink jetzt aus. Ich muss dich festbinden.»
    Gehorsam legte sich Matthes auf die Bank. Seine Glieder fühlten sich eiskalt an, die Hitze des Fiebers war wie weggefegt. In seinem Kopf begann es sich zu drehen.
    «Leg deine Linke auf den Holzklotz.»
    Dann winkte Jakob seine Schwester heran, die unschlüssig im Türrahmen stand. «Ich brauche Hilfe dabei.»
    «Niemals!» Agnes riss vor Schreck die Augen auf. «Das kann ich nicht.»
    Sie rannte ins Haus.
    «Ich helfe Euch.» Mugge trat neben die Bank. «Was muss ich tun?»
    «Das sag ich dir dann. Zunächst einmal setzt du dich auf seine Brust und hältst den linken Arm fest.»
    «Bist ein braver Kerl, Mugge», murmelte Matthes und schloss die Augen. Er wusste, dass bei Amputationen der Schock des unermesslichen Schmerzes die meisten augenblicklich in die Ohnmacht trieb. Aber eben nicht alle. Er zuckte zusammen, als Jakob auf seine aufgeplatzten Finger eine brennende Flüssigkeit auftrug. Dann wurde ihm ein Tuch vor die Augen gebunden.
    «Damals in Nördlingen», hörte er seinen Bruder fragen, «hättest du mich da tatsächlich getötet, wenn der andere nicht gewesen wäre?»
    «Ich weiß es nicht. Vielleicht.» War das die Wahrheit? Hätte er es über sich gebracht, auf den eigenen Bruder zu feuern? Er war froh, dass er Jakobs Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. «Ich war so außer mir vor Wut und Enttäuschung», fuhr er fort. «Darüber, dass auch du in diesen gotterbärmlichen Krieg gezogen warst und Mutter allein gelassen hattest. Dass du denselben Fehler begangen hattest wie ich. Dabei warst du doch immer der Klügere und Vernünftigere von uns beiden.»
    Das Sprechen und Denken fiel Matthes mit einem Mal schwer, der Branntwein schien seine Wirkung zu tun. Dennoch kam jetzt die Angst über ihn – dumpf, gewaltig und unaufhaltsam.
    «Das Leder. Mach den Mund auf.»
    «Warte noch.» Matthes’ Stimme bebte. «Hattest du gedacht, ich würde dich erschießen?»
    «Ja.» Die Antwort kam ohne Zögern. «Dein Blick hat verraten, dass es dir ernst war. Und ich hatte eine grauenhafte Angst.»
    «O Gott! Das wirst du mir niemals verzeihen können.»
    Jakob schwieg.
    «Du könntest mich jetzt töten, Jakob. Statt meine Finger abzusägen, könntest du mich töten. Und du hättest Recht. Ich bin nur ein Geschmeiß, ein überflüssiges Ungeziefer, das zertreten gehört.»
    «Hör auf!», brüllte Jakob ihn an. «Du bist mein Bruder. Ich will dein Leben retten, nicht nehmen. Du elender Hundsfott – ich liebe dich doch.» Seine letzten Worte waren in Schluchzen übergegangen.
    Dann fühlte Matthes den ledernen Knebel zwischen den Zähnen, den Druck von Mugges Gewicht auf seiner Brust. Hörte das Geklapper von Metall, ein Rascheln.
    «Es geht los.» Das war Jakobs Stimme, jetzt wieder ruhig und gefasst. «Lass dich in den Schmerz hineinfallen, er ist bald vorbei.»
    Was dann folgte, war die Hölle. Flammen und Eisen schlugen in seinen Körper, sein Inneres zerbarst in einer gewaltigen Explosion, Blitze sprengten sein Gehirn, er hörte noch einen gellenden Schrei, dann fiel er in die Tiefe, schneller und schneller, bis die Höllenglut ihn verschlang und endlich das erlösende Schwarz des Nichts ihn umfasste.
    Als er zu sich kam, lag er auf einem Strohsack neben dem Bett der Mutter. Er war nicht tot. Nein, er war keineswegs tot. Konnte sogar seinen linken Arm heben.
    «Jakob?»
    Das Gesicht des Bruders erschien über ihm, mit einem stillen Lächeln, daneben das von Agnes, das von Mugge und David.
    «Es ist vorbei.» Agnes strich ihm den kalten Schweiß von der Stirn. «Du hast es geschafft.»
    «Mutter?»
    Da spürte er eine kühle Hand an der Wange, zart und leicht wie ein Vogel. Mühsam wandte er den Kopf, sah Marthe-Maries Gesicht über sich am Bettrand, ihre Augen waren offen.
    «Mein Junge», flüsterte sie.
    Erleichtert schloss er die Augen. Endlich war er zu Hause angekommen.
    Draußen dämmerte es, als er erneut erwachte. Die anderen saßen um den Tisch und sprachen leise miteinander. Ein Krug Bier machte die Runde. Jemand lachte. Es war Mugge, er hatte wohl seine Scheu vor den anderen verloren. Ja, mehr noch: Er schien sich mit
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