Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi
Autoren: Maurizio de Giovanni
Vom Netzwerk:
mich, dass du das Spirituelle wertschätzt. Warum machst du's nicht wie wir und suchst dir eine Mission? Ich bin sicher, dass du die vielen Freudenmädchen bekehren könntest, die du wöchentlich aufsuchst.
    Modo lachte:
    – Kannst du dir die Gesichter der jungen Damen vorstellen, wenn ich mit einem Kreuz in der Hand ins Bordell kommen würde? Vielleicht mach ich das wirklich mal, um ihre Reaktion zu sehen. Weißt du, wie schlimm es wäre, jemanden wie mich zu verlieren?
    – Und eine der Haupteinkommensquellen, vermute ich. Spaß beiseite – hast du was entdeckt?
    Der Doktor begann, sich die Hände mit einem Taschentuch abzuwischen.
    – Nun, der Befund für die Signora am Eingang ist nicht kompliziert. Jemand hat beschlossen, ihr mit einer sehr scharfen Klinge ein hübsches Lächeln zu verpassen, nur ein paar Zentimeter unter dem, das ihr die Natur geschenkt hatte. Ein einziger Schnitt mit der rechten Hand, der Mörder stand vor ihr. Er muss eine Wahnsinnskraft gehabt haben, um ein Haar hätte er sie geköpft. Er hat alles durchtrennt: Kehlkopf, Skelettmuskel, Halsschlagader. Aus der ist das Blut rausgekommen, das muss ein schöner Strahl gewesen sein.
    Maione unterbrach ihn:
    – Also hat der Mörder wahrscheinlich was davon abgekriegt?
    Modo nickte:
    – Ganz sicher sogar. Falls er nicht einen großen Satz nach hinten gemacht hat, muss ihm schon etwas Blut ins Gesicht und auf die Kleider gespritzt sein. Die Frau war sofort tot, innerhalb von Sekunden. Zum Glück hatte sie keine Zeit, es zu begreifen. Was mir zu denken gibt, ist ihr Mann, hier stehen die Dinge anders.
    – Inwiefern?
    – Ich erkläre es dir: Sein Mord zeugt von einer unbeschreiblichen Verbissenheit. Der Körper weist circa sechzig Messerstiche auf, viele davon erfolgten nach dem Tod, meiner Meinung nach mindestens die Hälfte. Die Mörder mussten Grund zu großem Zorn haben. Sie haben ihn im Schlaf überrascht, oder fast schlafend, es gibt keine Anzeichen eines Kampfes. Ich muss es zwar bei der Obduktion noch prüfen, aber mir scheint, dass die Fingernägel des Opfers in Ordnung sind und es keine Abwehrspuren an den Händen gibt. Danach aber, nach all der Gewalt, und das ist das Erstaunliche, haben sie ihn hübsch ordentlich zurechtgelegt und mit dem Bettlaken zugedeckt. So viel Rücksicht haben sie beim Töten nicht genommen.
    Ricciardi war nicht entgangen, dass der Doktor den Numerus gewechselt hatte:
    – Warte mal, Bruno. Als du von der Frau gesprochen hast, sagtest du »der Mörder«, also eine Person. Beim Mann dagegen sprichst du im Plural. Wieso?
    – Dir altem Spürhund entgeht aber auch nichts, was? Du hast recht, ich sprach im Plural. Ich muss noch die Autopsie vornehmen, dann kann ich Genaueres sagen. Aber mein erster
Eindruck ist, dass die Verletzungen am Körper des Mannes von unterschiedlichen Händen stammen.
    Maione blickte ratlos vom Doktor zum Kommissar.
    – Was meinen Sie damit, Doktor? Was heißt das, von unterschiedlichen Händen?
    Modo antwortete:
    – Erstens sind die Einstichwinkel verschieden. Einige Schnitte gehen von rechts nach links, andere von links nach rechts. Ein Rechtshänder und ein Linkshänder. Zweitens die Kraft: Manche Stiche sind tief, ich glaube sogar, dass es beschädigte Rippen gibt; andere sind oberflächlich, nur durch die Messerspitze entstanden. Ich kann nicht sagen, wie viele Waffen verwendet wurden, aber meiner Ansicht nach haben wir es mit mindestens zwei Händen zu tun.
    Es trat Stille ein. Dann fragte Ricciardi:
    – Kannst du etwas zur Todeszeit sagen?
    Modo schüttelte den Kopf.
    – Weißt du, hier drinnen ist es ziemlich warm im Vergleich zu draußen, spürt ihr diese Hitze? Gleich mehrere Öfen laufen auf vollen Touren, das Ehepaar hat wohl schnell gefroren. Die Außentemperatur verändert aber die Prozesse, die nach dem Tod eintreten, die Erkaltung des Körpers zum Beispiel. Grundsätzlich glaube ich, die Zeitspanne wie folgt eingrenzen zu können: Zurückgerechnet vom jetzigen Zeitpunkt, fünf Uhr nachmittags, starben unsere Freunde hier zwischen sieben und ein Uhr.
    Maione hakte nach:
    – Können Sie es nicht ein bisschen genauer sagen? Sieben und eins – dazwischen liegen sechs Stunden!
    Modo fuhr ihn brüsk an:
    – Na klar, ich frag' einfach meine Glaskugel, wie Merlin, der Zauberer, Abrakadabra, zeig mir die genaue Uhrzeit, denn Brigadiere Maione will sie wissen. Hältst du mich für einen Scharlatan? Ich bin verflixt noch mal ein Wissenschaftler! Ohne Obduktion ist die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher