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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Martina Kempff
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lächelte den Juden freundlich an, half seinem Sohn von Bord und verschwand mit ihm, Dunja und seinem eigenen Lastenträger im Gewühl des Hafens.
    Iosefos fand sich erstaunlich schnell in Konstantinopel zurecht. Die Stadt hatte sich nur insofern verändert, als dass ihr Verfall noch deutlicher sichtbar war, als er es in Erinnerung hatte. Einzig die große Mauer schien den Stürmen der Zeit unbeschadet getrotzt zu haben. Wie erwartungsvoll hatte er an der Bordwand des Schiffes gestanden und darauf gewartet, seine Stadt wiederzusehen. Wie glänzend war sie ihm aus der Ferne erschienen mit ihren Kuppeln, Mauern, Türmen und Türmchen, als sie endlich in Sichtweite war. Und wie erschüttert registrierte er jetzt beim Gang durch die engen Gassen die verblassten Fassaden von einstmals bunt bemalten Häusern, an die sich wacklige Holzverschläge lehnten. Dort lärmten schmutzige Männer an Werkbänken, während zwischen ihren Beinen magere Katzen herumhuschten und Hühner im Dreck scharrten. Er sah alte Kirchen, an denen niemand Erdbebenschäden behoben hatte, und nur vereinzelt Hauseingänge, die mit Pflanzen begrünt waren. Iosefos brummte ungehalten über die Wahrsager, die ihn anrempelten, und über die fliegenden Händler, die ihn mit ihrem Tand belästigen wollten. Und die voll neugieriger Begehrlichkeit auf den mit zwei Weidenkörben schwer beladenen Lastenträger zwischen den beiden arabisch gekleideten Männern blickten.
    »Ich weiß, in Bagdad riecht es besser«, sagte er zu Ezra, der angeekelt und nicht immer erfolgreich Schweinen, ihren Treibern und stinkenden Kothaufen auszuweichen versuchte. »Aber hier sind wir zu Hause. Wo du endlich so wirst leben können, wie es die Natur für dich vorgesehen hat.«
    Erleichtert atmete er aus, als sie nach Stunden das enge Gassengewirr hinter sich gelassen hatten und in ein Viertel mit sauberen breiteren Straßen gelangten, in denen ihnen nur wenige Menschen begegneten und wo die Häuser einander nicht stützten, sondern einzeln in ummauerten Gärten standen. Doch auch hier hatte man der Zeit vielerorts zu wüten erlaubt. Voller Trauer blickte Iosefos auf bröcklige Säulen und zerfallende Bogenhallen an ehedem stolzen Villen. Er sah fleckige und gerissene Marmorstufen, schiefe Pergolen, die nur noch von dichten vertrockneten Weinranken zusammengehalten zu werden schienen, und vermooste Skulpturen in Gärten, die kein Bewohner der gepflegten Stadt Bagdad als solche bezeichnet hätte.
    Sein Gesicht erhellte sich, als sie um eine Ecke bogen und vor einem sauber mit Marmorstaub geweißten Steinpalais mit einer kecken kleinen Kuppel auf dem Vordach stehen blieben. An den Eingangssäulen rankten sich blühende Pflanzen empor.
    »Wir sind am Ziel«, sagte er. »Warte hier.«
    Wie ein junger Mann sprang er die acht breiten Marmorstufen hinauf, die zu einer prächtig geschnitzten Holztür führten. Er sah zu Ezra hinab.
    Jetzt würde sich alles entscheiden.
    Und da verließ ihn der Mut. Sowie alle Kraft, die er für die Rückkehr aufgebracht hatte. Er begann zu zittern.
    Zwanzig Jahre waren vergangen, Konstantinopel war alt geworden und so müde, wie er sich mit einem Mal fühlte. Seine Schwester konnte längst tot sein, das Haus, das er seiner Familie selbst erbaut hatte, Fremden gehören, das letzte bisschen erinnerte Heimat endgültig verschwunden sein.
    Doch noch bevor er den riesigen Klopfer in Form eines Löwenhauptes betätigen konnte, wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Ein großer nubischer Sklave musterte den fremdartig aussehenden Mann mit freundlichem Argwohn und fragte nach seinem Begehr.
    »Ich bin Iosefos, der Sohn des Iacobos, und möchte meine Schwester Theodora besuchen«, brachte der Baumeister hervor.
    Kurz schloss er die Augen, als der Sklave die Tür daraufhin weit aufstieß. Er hörte das Echo seines Namens im Inneren des Hauses, dann schnelle Schritte auf dem Steinboden, ein Rascheln, einen Schrei, einen Jauchzer.
    »Iosefos! Du bist es wirklich! Du lebst!«
    Tränen liefen der zierlichen grauhaarigen Frau die Wangen hinunter, als sie auf ihren Bruder zustürzte und ihn in die Arme schloss.
    »Bagdad also«, stellte sie mit erstickter Stimme fest, nachdem sie den Baumeister losgelassen und genauer gemustert hatte.
    Er nickte.
    »Zwanzig Jahre im Dienste des Kalifen«, murmelte er. »Ach, Theodora, das ist jetzt vorbei. Ich bin wieder zu Hause. Und ich möchte dir jemanden vorstellen.«
    Er winkte Ezra zu sich. Der kam zögerlich die Stufen hinauf und
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