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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Martina Kempff
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spät … «
    Mit schiefem Mundwinkel und einem Kopfschütteln gab ihm Yussuf zu verstehen, dass er keinesfalls die Absicht habe, die Reise irgendwann fortzusetzen, da er an seinem Ziel angekommen sei. Er ließ den vor Entsetzen jetzt selbst sprachlosen Juden stehen und begann mit den üblichen Vorkehrungen, um von Bord zu gehen.
    Isaak hatte sich geirrt. Nicht der Anblick der Hagia Sophia hatte dem spröden Baumeister ein Lächeln ins zerfurchte Gesicht gezaubert, sondern die Aussicht auf Erfüllung eines lange gehegten Traumes. Dabei hätte ihm niemand ansehen können, wie aufgeregt er war, wie heftig sein Herz pochte. Gleich würde er Konstantinopel wieder betreten, die Stadt, die er zwanzig Jahre zuvor Hals über Kopf hatte verlassen müssen. Schwer an Körper und Seele verletzt, war er damals als junger Mann geflüchtet, nur knapp den Rachesuchenden entkommen.
    Wie so viele Oströmer hatte Iosefos, der Sohn des Iacobos, in Bagdad ein neues Leben begonnen – als Yussuf ibn Yakub. Der Ruf seines Lehrers, dessen Tod ihm in Konstantinopel angelastet wurde, hatte ihm in der aufstrebenden kreisrunden Hauptstadt des Abbasidenreiches schnell ein gutes Auskommen verschafft. Haruns Großvater hatte Bagdad zwar erst zwölf Jahre zuvor gegründet, aber schon damals war abzusehen, dass es Konstantinopel den Rang als bedeutendste Stadt der bekannten Welt ablaufen würde. Inzwischen wohnten in Bagdad fast zwei Millionen Menschen; das kränkelnde Konstantinopel brachte es nicht einmal mehr auf fünfzigtausend.
    Mit seiner Rückkehr ging Iosefos ein sehr hohes Risiko ein. Sollte ihn jemand erkennen, könnte er immer noch von den Söhnen seines Lehrers verfolgt und ermordet werden. Er fürchtete sich nicht vor dem Sterben, würde es vielleicht sogar begrüßen, in der Heimaterde begraben zu werden, aber er hatte Angst um sein einziges Kind, das nach seinem Tod auf sich selbst gestellt sein würde. Auch wenn ihm das als das kleinere Übel erschien – im Vergleich zu der besonderen Bedrohung, der dieses vierzehnjährige mutterlose Geschöpf in Bagdad ausgesetzt gewesen war. Als Dunja dem Baumeister im Sommer Gerüchte zugetragen hatte, die der Wahrheit gefährlich nahe gekommen waren, sah er hohe Zeit gekommen, mit dem Knaben sein Exil zu verlassen.
    Nach der Fertigstellung des Palasts von Raqqa hatte er also um seinen Abschied bitten wollen. Doch dann war er plötzlich zum Kalifen gerufen worden. Inständig hatte er den Allmächtigen Aller angefleht, keinen neuen Bauauftrag annehmen zu müssen. Harun beschäftigte überall seine Späher und hätte ihn nie ziehen lassen, wenn er seine Dienste weiterhin benötigt hätte.
    Der Kalif jedoch sprach nicht von Diensten, sondern von einer Vision. Er habe die Absicht, sagte er, dem christlichen Herrscher im fernen Norden ein Gotteshaus zu schenken, an dem Allah selbst dereinst seine Freude haben könnte, wenn der einzig wahre Glaube auch dieses Land erobert habe. Er stelle sich vor, wie glücklich es den König einer augenscheinlich recht barbarischen Architektur machen könnte, unter einer Kuppel zu beten, die weder den Vergleich mit oströmischen Bauten noch mit dem Tempel von Jerusalem zu scheuen brauche. Der Orient wünsche diesem freundlichen Teil des Okzidents ein Geschenk zu machen, das jedoch als solches weder offiziell anerkannt noch erwidert werden dürfe. Für die Diplomatie dieser zugegebenermaßen pikanten Angelegenheit sei der weit gereiste Isaak zuständig, für die Ausführung der unübertreffliche Baumeister Yussuf ibn Yakub. Letzterer solle König Karl die Zeichnung eines erhabenen Kuppelbaus mit hohen Fenstern und schön ausgearbeiteten Galerien vorlegen – Harun deutete nachlässig nach oben – und ihm darlegen, wie man diesen in die bereits fertige Pfalzanlage harmonisch einfügen könne. Angesichts eines solchen Prachtbaus und der entfallenden Kosten für den Baumeister würde der Frankenkönig alle gierigen Antragsteller gröberer fränkischer Fertigung fortschicken.
    Der Mann, der sich in Bagdad Yussuf nannte, wartete fassungslos, bis ihm der Kalif das Wort erteilte.
    »Beherrscher der Gläubigen«, begann er. »Großzügigkeit ist eine Fürstin unter den edlen Eigenschaften. Doch was soll ich sagen, wenn man mich fragt, welch überaus weitherziger Wohltäter mich entsandt hat?«
    »Ein frommer Freund aus feindloser Ferne«, antwortete Harun. Er lachte wie ein Kind, dem ein Streich gelungen war. »So wie man die Strahlen der Sonne nicht zudecken kann, so kann
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