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Die fünfhundert Millionen der Begum

Die fünfhundert Millionen der Begum

Titel: Die fünfhundert Millionen der Begum
Autoren: Jules Verne
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Entschließung.
    – Darf ich diese Actenstücke behalten? fragte der Doctor.
    – Gewiß, wir besitzen davon Duplicate.«
    Als Doctor Sarrasin allein war, begab er sich nach dem Schreibtische, nahm ein Stück Briefpapier und schrieb wie folgt:
     
    »Brighton, am 28. October 1871.
     
    Mein lieber Sohn! Es ist uns plötzlich ein enormes, ungeheures, übergroßes Vermögen zugefallen! Halte mich nicht etwa für geistig gestört, sondern lies zunächst die gedruckten Actenstücke, welche ich diesem Briefe beilege. Du wirst daraus ersehen, daß ich Erbe des Titels eines englischen oder vielmehr indischen Baronets und eines, jetzt bei der Bank von England deponirten Capitals von mehr als einer halben Milliarde Francs bin. Ich weiß schon im voraus, mein lieber Octave, mit welchen Empfindungen Du diese unerwartete Nachricht aufnimmst. Du wirst, gleich mir, einsehen, daß solche Schätze uns ganz andere Pflichten auferlegen, und die Gefahren begreifen, die sie uns wegen ihrer Verwendung bereiten können. Kaum eine Stunde mit dem Sachverhalt bekannt, erstickt mir doch die Sorge um eine derartige Verantwortlichkeit schon halb die Freude, welche mir derselbe zuerst um Deinetwillen bereitet hatte. Vielleicht wirkt dieser Glückswechsel gar ungünstig auf unser späteres Schicksal ein!…. Als bescheidene Pionniere der Wissenschaft fühlten wir uns in der Verborgenheit glücklich. Wird das so bleiben? Nein, vielleicht; doch ich will jetzt einen in mir aufgestiegenen Gedanken noch unterdrücken – wenn jenes uns zugefallene Vermögen zu einem neuen mächtigen, wissenschaftlichen Hilfsmittel, zu einem fruchtbringenden Werkzeug der Civilisation würde…. Doch davon sprechen wir später. Schreib’ mir und sag mir schnell, welchen Eindruck diese hochwichtige Neuigkeit auf Dich gemacht, und sorge, daß auch Deine Mutter davon erfährt. Ich hoffe, daß sie als verständige Frau diese Nachricht mit Ruhe und Gelassenheit aufnimmt. Deine Schwester ist noch zu jung, als daß ihr irgend etwas Derartiges das Köpfchen verwirren könnte. Freilich ist sie schon recht verständig; doch auch wenn sie sich alle möglichen Folgen der Dir übermittelten Nachricht zu vergegenwärtigen vermöchte, bin ich doch der Ueberzeugung, daß sie durch diesen plötzlichen Wechsel unserer Verhältnisse am wenigsten berührt würde. Einen Händedruck unserem lieben Marcel. Er ist bei keinem meiner Zukunftspläne vergessen.
    Dein wohlgewogener Vater
    Dr.
Fr. Sarrasin.«
     
    Nachdem er diesen Brief mit den wichtigsten Documenten in ein Couvert gesteckt und dieses mit der Aufschrift »Herrn Octave Sarrasin, Studirender an der Centralschule für Künste und Gewerke, 32, Rue du Roi-de-Sicile, Paris« versehen, nahm der Doctor seinen Hut, legte den Ueberrock an und begab sich zum Congreß. Eine Viertelstunde später dachte der brave Mann nicht im geringsten mehr an seine Millionen.
Zweites Capitel.
Zwei Stubenburschen.
    Octave Sarrasin, der Sohn des Doctors, gehörte nicht geradezu unter die Faullenzer. Er war weder dumm noch gescheidt, weder schön noch häßlich, weder blond noch braun und überhaupt ein Muster von Mittelmäßigkeit nach allen Seiten. Im Colleg errang er sich gewöhnlich einen zweiten Preis und zwei oder drei Accessits. Beim Baccalaureats-Examen lautete seine Censur, leidlich«. Einmal bei der
Ecôle centrale
abgewiesen, wurde er bei einer zweiten Prüfung mit Nummer hundertsiebenzwanzig aufgenommen. Er war einer jener unentschiedenen Charaktere, einer der Geister, die sich schon mit einer unvollständigen Sicherheit zufrieden geben, die mit dem »Ungefähr« auf vertrautem Fuße stehen und durch’s Leben wandeln wie ein Mondstrahl. In der Hand des Schicksals gleichen diese Leute dem Korkpfropfen auf dem Wellenkamme. Je nachdem der Wind von Norden oder Süden weht, werden sie nach dem Pole oder dem Aequator hingetrieben. Ihre Laufbahn entscheidet nur der Zufall. Hätte sich Doctor Sarrasin nicht selbst einigen Täuschungen über den Charakter seines Sohnes hingegeben, so würde er wahrscheinlich gezögert haben, ihm jenen Brief zu schreiben; ein wenig väterliche Verblendung ist jedoch auch den besten Köpfen nachgelassen.
     

    Darf ich diese Actenstücke behalten? (S. 14.)
     
    Zum Glück verfiel Octave gleich im Anfange seiner höheren Ausbildung der Herrschaft einer energischen Natur, deren etwas tyrannischer, aber wohlthätiger Einfluß sich ihm mit unwiderstehlicher Gewalt aufdrängte. Auf dem Lyceum Charlemagne, wohin ihn sein Vater
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