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Die fünfhundert Millionen der Begum

Die fünfhundert Millionen der Begum

Titel: Die fünfhundert Millionen der Begum
Autoren: Jules Verne
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ein Ziel, das sie nur durch ernstliche Arbeit zu erreichen vermag.«
    Um fünf Uhr stand er gewöhnlich auf und nöthigte Octave ebenfalls dazu. Er begleitete ihn zum Unterricht und beim Spazierengehen und wich nie einen Fuß breit von seiner Seite. Nach Hause zurückgekehrt, ging es an die Arbeit, die wohl zuweilen durch eine Pfeife Tabak und eine Tasse Kaffee gewürzt wurde. Um zehn Uhr ging man zu Bett mit befriedigtem, wenn auch nicht zufriedenem Herzen und von geistiger Nahrung gesättigt. Von Zeit zu Zeit eine Partie Billard, ein gutes Schauspiel, in längeren Zwischenräumen ein Concert des Conservatoriums, ein Ritt bis in den Wald von Verrières, ein Spaziergang unter den Bäumen, zweimal wöchentlich ein Wettkampf im Boxen und Fechten – das waren so die Zerstreuungen der beiden Freunde. Octave versuchte zwar manchmal, sich gegen diese Ordnung aufzulehnen und ließ seine Neigung zu weniger empfehlenswerthen Vergnügungen durchschimmern. Er sprach davon, Aristide Leroux zu sehen, der in der Brauerei von St. Michel seinen Mann stellte. Marcel spottete aber so bitter über derartige Abweichungen, daß jener seine Luft meist unterdrückte.
    Am 20. October 1871 saßen die beiden Stubenburschen gegen sieben Uhr Abends wie gewöhnlich an demselben Tische unter dem Schirme einer gemeinschaftlichen Lampe. Marcel war mit Leib und Seele in ein Problem der descriptiven Geometrie vertieft. Octave beschäftigte sich höchst aufmerksam mit der für ihn leider weit wichtigeren Herstellung einer Kanne Kaffee. Hierin zeichnete er sich mit Vorliebe aus, weil er damit täglich Gelegenheit fand, für einige Minuten der schrecklichen Nothwendigkeit, verwirrte Gleichungen aufzulösen, eine der Aufgaben, die Marcel seiner Meinung nach gar zu häufig wiederholte, überhoben zu sein. Tropfen für Tropfen ließ er also das siedende Wasser durch eine dicke Schicht gemahlenen Mokkas sickern, ein stilles Vergnügen, das ihm volle Befriedigung gewährte. Wenn Marcel’s Fleiß ihm Gewissensbisse machte, so fühlte er stets das unwiderstehliche Bedürfniß, ihn wenigstens durch sein Geplauder einmal zu stören.
    »Wir werden uns wohl einen ordentlichen Durchseiher anschaffen müssen, sagte er plötzlich. Dieser antike Filter steht wahrlich nicht auf der Höhe der Civilisation.
    – So kauf’ einen Durchseiher! Das wird mindestens dazu dienen, Dich nicht jeden Abend eine Stunde bei dieser Kocherei verspielen zu lassen!« antwortete Marcel.
    Wiederum wandte er sich seinem Problem zu.
    »Ein Gewölbe hat als Intrados ein Ellipsoid mit drei ungleichen Winkeln.
A, B, D, E
sei die Grund-Ellipse, welche die größte Achse o
A = a
enthält, die mittlere Achse aber
B = b
, während die kleinste Achse (
o, o’, o 1
) vertical und gleich
c
ist, wonach das Gewölbe ein gedrücktes darstellt….«
    In diesem Augenblick klopfte es an die Thüre.
    »Ein Brief, Herr Octave Sarrasin!« rief der Hausbursche herein.
    Man kann sich denken, wie lieb dem jungen Studenten diese Abwechslung war.
    »Der ist von meinem Vater, bemerkte Octave. Ich erkenne die Handschrift…. Das nennt man doch wenigstens ein Sendschreiben!« fügte er, das Papierpacket in der Hand wiegend, hinzu.
    Marcel wußte so wie er, daß der Doctor in England verweilte. Als er vor acht Tagen durch Paris kam, wurde seine Anwesenheit durch ein den beiden Kameraden gegebenes Mittagsmahl im Restauraut des Hôtel-Royal gefeiert, das früher berühmt, jetzt aus der Mode gekommen ist, von Doctor Sarrasin aber noch immer als das
non plus ultra ultra
des Pariser Raffinements betrachtet wurde.
    »Theile mir mit, was der Vater von dem hygienischen Congresse schreibt, sagte Marcel. Es war von ihm ein guter Gedanke, dahinzugehen. Die französischen Gelehrten verfallen zu leicht in den Fehler, sich zu isoliren.«
    Marcel machte sich wieder an das Studium seines Problems.
    »…. Die Extrados bestehen aus einem dem ersten ähnlichen Ellipsoid, das sein Centrum unter
o 1
der Verticale
o
haben möge. Nach Bezeichnung der Brennpunkte der drei Hauptellipsen
F 1 , F 2 , F
ziehen wir die Hilfsellipse und Hyperbel, deren gemeinschaftliche Achse….«
    Da veranlaßte ihn ein Schrei Octave’s, den Kopf zu erheben.
    »Was giebt es denn? fragte er, etwas beunruhigt über das erbleichte Gesicht seines Freundes.
    – Lies selbst!« erwiderte dieser, der über die eben empfangene Nachricht ganz von Sinnen zu sein schien.
    Marcel nahm den Brief, las ihn zu Ende, durchlas ihn noch einmal, warf einen Blick auf die ihn
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