Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Fünf Tore 1 - Todeskreis

Titel: Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
Autoren: Anthony Horowitz
Vom Netzwerk:
wären. Wir haben ihn aufgenommen. Wir mussten ihn ganz allein großziehen. Und wie dankt er es uns?«
    Mallory warf einen weiteren Blick in die Akte. »Wie ich sehe, hatte er früher nie Schwierigkeiten«, sagte er. »Mit dem Schuleschwänzen hat er erst angefangen, als er nach Ipswich kam. Und von da an ging es nur noch bergab.«
    »Geben Sie etwa mir die Schuld?« Zwei rote Flecken erschienen auf Gwenda Davis’ Wangen. »Dafür kann ich doch nichts! Das war dieser Junge, Kelvin Johnson … Er lebt in der Nachbarschaft. Er hat Matthew verdorben!«
    Es war elf Uhr abends. Der Tag war lang gewesen, und Mallory reichte es. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, Mrs Davis«, sagte er. »Wollen Sie Matthew sehen?«
    »Das macht wohl nicht besonders viel Sinn, wenn er schläft, oder?«
    »Vielleicht möchten Sie dann morgen früh wiederkommen. Dann wird jemand vom Jugendamt hier sein. Und Matthew wird einen Anwalt brauchen. Aber wenn Sie um neun Uhr kommen – «
    »Um neun geht es nicht. Ich muss Brian Frühstück machen, wenn er von seiner Runde heimkommt. Ich komme danach.«
    »Gut.«
    Gwenda Davis stand auf und ging. Mallory sah ihr nach. Er empfand nicht das Geringste für sie. Aber der Junge, der oben schlief, tat ihm leid.
     
    Matt wachte auf.
    Das Zimmer mit den vier Betten war menschenleer. Im ganzen Gebäude herrschte absolute Stille. Er spürte ein Kissen unter seinem Kopf und fragte sich, wie lange er geschlafen hatte. Es gab keine Uhr im Zimmer, aber draußen war es stockdunkel, das konnte er durch das vergitterte Fenster sehen. Der Raum war schwach erleuchtet. Wahrscheinlich schalteten sie das Licht nie ganz aus.
    Er versuchte, wieder einzuschlafen, aber er war hellwach. Plötzlich sah er die Ereignisse des Abends wieder vor sich. Die Bilder tauchten vor seinen Augen auf wie Spielkarten, die vom Wind umhergewirbelt wurden. Da war Kelvin vor dem Bahnhof. Dann das Lagerhaus, die DVDs, der Wachmann, das Messer, wieder Kelvin mit diesem blöden Grinsen, die Polizeiautos und seine eigenen, blutverschmierten Hände. Matt kniff die Augen zu und versuchte, die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben.
    Es war heiß im Zimmer. Die Fenster waren geschlossen, und die Heizung lief. Matt fühlte, wie die Hitze ihn umflimmerte. Er hatte Durst und sah sich um. Vielleicht konnte er jemanden rufen. Doch er konnte keinen Rufknopf finden.
    Da fiel sein Blick auf einen Krug mit Wasser und ein Glas auf einem Tisch am anderen Ende des Raums. Er hob die Hand, um die Decke zurückzuschlagen und aufzustehen, aber sie war zu schwer. Das war doch nicht möglich! Er spannte die Muskeln an und versuchte, sich aufzurichten. Er konnte sich kaum bewegen. Schließlich begriff er, dass der Arzt da gewesen sein musste, als er geschlafen hatte. Er hatte ihm irgendwas gespritzt – ein Beruhigungsmittel. Und jetzt konnte er sich nicht bewegen.
    Beinahe hätte Matt geschrien. Die Panik drohte ihn zu ersticken. Was würden sie mit ihm machen? Warum war er nur zu diesem Lagerhaus gegangen? Wie hatte das alles passieren können? Er ließ seinen Kopf wieder aufs Kissen fallen und kämpfte gegen die Verzweiflung, die ihn zu überwältigen drohte. Er konnte nicht fassen, dass ein Mann fast zu Tode gekommen war – wegen einer Handvoll DVDs. Wie hatte er so dumm sein können, Kelvin als seinen Freund zu betrachten? » Er war’s! Er war’s!« Kelvin war ein Jammerlappen. Schon immer gewesen. Das Wasser …
    Im Zimmer wurde es immer heißer, als hätten die Polizisten die Heizung aufgedreht, um ihn zu quälen. Matts ganze Konzentration war auf den Glaskrug gerichtet. Er sah den perfekten Kreis, den die Wasseroberfläche darin bildete. Er versuchte, sich zum Aufstehen zu zwingen, und als das misslang, wurde ihm auf einmal bewusst, dass er dem Krug befahl, zu ihm zu kommen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sein Mund war wie ausgedörrt. Einen Moment lang glaubte er, etwas Verbranntes zu riechen. Der Krug war so nah – nur ein paar Meter entfernt. Seine Gedanken griffen nach ihm.
    Der Krug zerbrach.
    Er schien förmlich zu explodieren, aber wie in Zeitlupe. Für einen Sekundenbruchteil hing das Wasser in der Luft, dann platschte es auf den Tisch und tropfte hinunter auf die Glasscherben.
    Matt war verblüfft. Er hatte keine Ahnung, was passiert war. Er hatte den Krug nicht zerbrochen. Der Krug hatte sich selbst zerbrochen. Es war, als wäre er von einer Kugel getroffen worden, aber Matt hatte keinen Schuss gehört. Er hatte gar nichts gehört.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher