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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
Autoren: Ulrike Nolte
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ihn
selten, er hatte genug mit seinen eigenen Problemen zu tun. Was ihn dort unten
wohl erwartete? Der Gedanke an wilde Tiere wirkte zu exotisch, um Furcht
auszulösen. Mehr Sorgen machte ihm, dass die Ausrüstung stark veraltet war.
Technische Neuentwicklungen gab es an Bord der Arche seit langem nur noch im
Unterhaltungsbereich, und zuweilen hatte sich die Ingenieursgilde an einer
Verbesserung der Antriebssysteme versucht. Ganz bestimmt wäre niemand auf die
Idee gekommen, seine Zeit für etwas so Unsinniges wie Tauchkleidung oder Unterwasserwaffen
zu verschwenden.
    Caravans Stimme platzte über das
Sprechgerät in seine Gedanken hinein: „Hallo? Funktest, Funktest. Kannst du
mich hören? Falls mich dort unten die Säbelzahnqualle frisst, vermache ich dir
meine Musikdateien.“
    „Großer Gott, stirb bloß nicht“,
knurrte Serail, „sonst fühle ich mich wirklich gezwungen, dreihundert Stunden
gesammelte Barockmusik anzuhören.“ Mit gemischten Gefühlen stand er neben der
offenen Tür und beobachtete, wie sich die ersten Taucher in die Tiefe stürzten.
Er hörte ein unterdrücktes Schnauben an seinem rechten Ohr und setzte wehleidig
hinzu: „Gleich soll ich da raus. Irgendwie habe ich gar keine Lust mehr.“ Mit
ploppsenden Schwimmfüßen schlurfte er auf die offene Schiebetür zu und sah
zögernd auf das Wasser fünf Meter unter sich. Bis mit einem Mal die nächste
große Welle kam, der Flugleiter ihm ein ‘Los!’ ins Ohr schrie, und er sich
plötzlich im freien Fall wiederfand.
     
    Die Gischt schlug über ihm zusammen,
Blasenstrudel verwirrten seine Sicht, und er kämpfte einen Augenblick gegen die
Orientierungslosigkeit. Dann war er zurück an der Oberfläche – die Luft in
seinem Anzug hatte den ersten Aufprall abgefangen – und sah sich um, in einer
absolut fremdartigen Welt. Glasklare Wände erhoben sich zu allen Seiten, sie
rollten schwankend unter ihm hindurch und zogen ihn mit sich. Ihm wurde
schwindelig von dem Anblick, in seinem Kopf drehte sich alles, während seine
Augen vergeblich einen Halt suchten, während die Landschaft um ihn herum keinen
Augenblick stillstand, sich in stetigem Wandel befand, sich unaufhörlich anhob
und senkte, sich hob und wieder senkte...
    „Oh Gott, ich glaube, mir wird
schlecht“, ächzte er in sein Mikrophon. Jetzt türmte sich eine neue Woge vor
ihm auf, die bis an den Himmel zu reichen schien. Der Tauchanzug mit Atemgerät
änderte nichts daran, dass ihn beim Anblick dieser Wassermasse absolute Panik
überkam. Bevor er Zeit hatte, richtig zu denken, war sie über ihm und riss ihn
in die Höhe. Es war ein Gefühl wie in einem Fahrstuhl, und sein Magen schlug
Purzelbäume. Dann trieb er oben auf dem Wellenkamm, und für einen Augenblick
sah er die ganze blaue Unendlichkeit des Meeres vor sich liegen.
    Eine unfassbare Menge von Wasser,
die sich zu allen Seiten bis zum Horizont erstreckte und nahtlos in das Blau
der Atmosphäre überging, so als sei alles Sichtbare eine in sich geschlossene
Kugel, eine Kugel nur aus Wasser. Serail fühlte einen neuen Anfall von
Schwindel. Die gleichfarbene Weite verkleinerte den Flieger, der still inmitten
dieses Bildes schwebte, zu vollkommener Bedeutungslosigkeit. Hastig öffnete er
das Ventil seines Anzugs, solange er noch den Mut dazu besaß. Die Luft entwich
aus den Auftriebelementen, und er sank abwärts.
    Sauerstoffperlen wirbelten an
seinem Gesicht vorbei und stiegen in dünnen Fäden an die Oberfläche. Langsam
löste sich seine Verkrampfung. Das Meer war lichtdurchflutet, Sonnenstrahlen
brachen in gleißenden Bündeln durch die Wellenschicht, die von unten aussah wie
fließendes Quecksilber. Serail schaute mit zurückgelegtem Kopf den Luftblasen
seines Anzugs nach, erst dann ließ er seinen Blick über die fremdartige Landschaft
gleiten. Er war umgeben von zerbrechlichen Türmen in strahlenden
Korallenfarben, gelb, rot und grün, die um ihn herum schlank und senkrecht in
die Höhe ragten. Die glatten Hüllen waren von Lochmustern bedeckt. Neugierig
schwamm Serail näher heran und beobachtete, wie winzige Gasblasen in
regelmäßigen Abständen aus diesen Öffnungen perlten. Es sah aus, als würde das
filigrane, fast zwanzig Meter hohe Gebilde gleichmäßig atmen. Die Blasen fingen
sich in Wimpernhärchen und umschlossen den Korallenkörper wie ein glitzerndes Geschmeide.
    Ein Stück weiter rechts sah Serail
seinen Getrauten im Säulenwald schweben. Die schwarze Gestalt wirkte zu massiv
für ihre Umgebung. Man wartete
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