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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
Autoren: Ulrike Nolte
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wo es gerade
passte. Das Resultat war von überraschender Schönheit, es ähnelte einer
Schneeflocke in hundertfacher Vergrößerung. Metall verzweigte sich in alle
Richtungen, bildete komplizierte Gitter und würfelförmige Knotenpunkte, jeder
eine ganze Stadt für sich. Eine bizarre geometrische Landschaft breitete sich
vor Caravan aus, silberne Stahlpfeiler zwischen silbernen Stahlwänden: die
Außenseite eines Straßennetzes, das sich kilometerweit in die Leere erstreckte.
Kurzstreckengleiter umschwärmten dieses Gebilde wie ein funkelnder Mückenschwarm.
    Er hielt sich an der stabilen
Gegenwart des Bildes fest und verdrängte den Gedanken, dass er eigentlich auf eine
Fata Morgana starrte, eine Designerkreation ohne Substanz. Von seinem
Blickpunkt aus hätte er die Arche gar nicht sehen dürfen. Die Wirklichkeit in
seinem Gehirn war von den Außensensoren des Schiffes abhängig, und sie waren in
die Ferne gerichtet, nicht zurück auf den Schiffskörper. Die Arche anzuschauen
war so unlogisch wie ein Fernglas, durch das man sich selbst betrachten konnte.
    Caravan wusste genau, welchen Weg
die Informationen nahmen, wie konstruiert seine Wahrnehmung im Augenblick war.
Die Außensensoren leiteten ihre Daten zuerst an den Brückencomputer, dort
wurden sie umgewandelt und dann von den Saalwänden abgestrahlt. Jeder, der die
Brücke betrat, ohne sich durch sein Implantat zu schützen, geriet unter den
Einfluss dieser Datensendungen – so wie jeder, der Caravans Kabine betrat, das
Bild einer moosbewachsenen Wohnhöhle sah. Die Wände der Arche waren von
Computerneuronen durchzogen wie von einem riesigen Nervengeflecht. Ihre
Botschaften beeinflussten das Gehirnstrommuster, fütterten die Sinne mit einer
zweiten Realität: den Illusionen des Stromraums. Das gesamte Schiff, Tausende
von Korridoren, zehntausende von Streckenkilometern, wurden von dieser
geisterhaften Wirklichkeit eingehüllt, und ohne Implantat erlebte man die Arche
als einen Ort ständig wechselnder, ineinander fließender Halluzinationen.
    Die Wände konnten den Gehirnstrom
nicht nur einseitig manipulieren, sie waren auch umgekehrt empfänglich für
Gedankenreize und -befehle. Sie dienten als ein allgegenwärtiger Servicecomputer.
Man konnte jede beliebige Information abrufen, eigene Pfade ins Dickicht der
Dateien schlagen und mit privaten Gedanken füllen. Die Designer konnten mit
ihren Wachträumen ganze Welten erschaffen. Sie hatten auch dafür gesorgt, dass
nun das Modellbild der Arche beruhigend hinter Caravan schwebte. In den Zeiten
vor der Installation dieser psychologischen Schutzmaßnahme hatte es in der Matrosenklasse
eine Selbstmordrate von über fünfzig Prozent gegeben. Inzwischen war diese Zahl
tatsächlich gesunken, nicht sehr weit, aber es machte sich gut in den
Statistiken.
    Caravan bohrte sich die
Fingernägel in die Handflächen, als er daran dachte. Zu viele seiner Freunde
waren schon gestorben. Er hatte sich geschworen, dass er selbst niemals zu den
Opfern gehören würde. Das Universum konnte sich an ihm die Zähne ausbeißen! Er
würde sich selbst und seinen Getrauten auch diesmal aus der Psychose ziehen.
„Hast du gesehen, dass wir den Planeten schon im Blickfeld haben? Er ist vor
ein paar Minuten aufgetaucht, im Planquadrat 2183.“ Das fremde Sonnensystem war
bisher nur von den Langstrecken-Scannern angezeigt worden. Jetzt kam es in
Reichweite der Fein-Sensorik und schob sich damit langsam in den Außenrand von
Caravans Bewusstsein. „Bald werden wir sehen, ob das Computermodell tatsächlich
stimmt und der Planet nur Tausende von Inseln hat, keine Kontinente.“
    Sein Getrauter antwortete nicht,
und Caravan kämpfte ein Gefühl der Beklemmung nieder. Es war normal, dass
Serail schon nach Minuten kaum noch ansprechbar war. Er redete hastig weiter:
„Stell dir vor, wenn kein anderes Schiff jemals eine neue Erde findet! Wir
werden die einzigen echten ‘Terraner’ im ganzen Universum sein. Ich weiß ja,
dass dich der Gedanke nicht begeistert, aber ich werde ganz ehrfürchtig,
wenn ich daran denke – fester Boden unter den Füßen, offener Himmel, ziehende
Wolken ... Es gibt schließlich niemanden, der alt genug ist, um sich daran zu
erinnern. Die Strombilder von der Erde könnten alle gefälscht sein, und niemand
würde es merken. Vielleicht war Gras in Wirklichkeit gar nicht grün.“
    „In jedem zweiten Roman reden sie
über grünes Gras“, erklang Serails abwesende Stimme.
    „Ach, du weißt doch, wie Dichter
sind“,
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