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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition)
Autoren: Philippe Djian
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bin nicht mehr fähig, meinen Sohn abzuholen? Wo immer er auch ist? Glaubst du vielleicht, ich bleibe hier und drehe Däumchen? Ich, seine Mutter ?«
    »Das ist ja völlig irre, das ist unglaublich, daß du so was denken kannst. Daß ich dich ins Bett schicke, weil du eine Frau bist. Du machst mich fertig mit so einem Quatsch.«
    »Gut, dann sag mir wenigstens die Wahrheit. Sag mir, was los ist.«
    »Nichts. Gar nichts. André hat ein ungutes Gefühl, das ist alles. Siehst du? Ein ungutes Gefühl, mehr nicht.«
    »Ein ungutes Gefühl? Was für ein ungutes Gefühl?«
    Sie wandte sich André zu und sah ihn mißtrauisch an. Dann fielen die ersten Tropfen. Riesige Tropfen, die wie mit Kastagnettengeklapper gegen die Fensterwände prasselten.
    Als Silvesterüberraschung hatte Axel Mender von der MediaMax Laure dazu überredet, bei Anbruch des neuen Jahres in einem Bikini aus einer Torte aufzutauchen. Das war bescheuert, und Richard war wütend, aber man hatte ihm erklärt, daß die Karriere seiner Frau wenigstens in der ersten Zeit, nachdem sie schon so viele Hürden überwunden hatte, ein paar unwichtige Konzessionen, ein paar kleine Verpflichtungen erforderlich mache, die nicht der Rede wert waren.
    Wie dem auch sei, es war ein herrlicher Morgen mit glitzerndem Schnee, ohne Wind, strahlend und von unglaublicher Helle, die aus dem tiefen Blau des Himmels drang, sobald man einen Blick nach draußen warf. Der Rasierapparat schnarrte – wie ein Sägewerk auf dem Grund einer engen Schlucht – auf Richards Wangen, während dieser, ohne zu blinzeln, die Umgebung betrachtete, die Wasserflächen, die in der Ferne spiegelten, dort, wo das Land überschwemmt war. Ein erstaunlicher Anblick. Von ziemlich erschreckender Schönheit. Er berührte seinen Bauch, um zu überprüfen, in welchem Zustand sich seine Bauchmuskeln befanden. Dennoch war der Wasserspiegel gesunken. Bald würde Dany Clarence Zugang zu seinem Dachboden haben, dachte er.
    Es war zehn Uhr morgens. Es herrschte absolute Stille – ein paar Eichelhäher kreisten um die Zeder und kurvten durch das Sonnenlicht.
    Seit er wußte, daß er sich nie wieder zu den Schriftstellern rechnen durfte, war alles viel leichter: Er konnte einen ganzen Tag mit einem leichten Lächeln auf den Lippen damit verbringen, ein bißchen an einem Drehbuch herumzubasteln oder Gags für eine Sitcom zu erfinden, er schlug sich tapfer – bis zu dem Augenblick, in dem sich Laure zu ihm setzte, um ein paar Gläser zu leeren, wenn sie nicht zu spät von ihren Drehterminen heimkehrte. Er war also gewissermaßen tot, wenn man sich an seine literarischen Theorien hielt, er war mausetot, und viele Dinge kamen ihm jetzt viel einfacher vor. Als könne sich in seinem Dasein nichts Wichtiges mehr ereignen. Als sei es besser, tot zu sein als lebendig.
    Sich zu rasieren war leicht. Die Welt zu betrachten war leicht. In diesem Haus zu wohnen war leicht.
    Unten setzte sich der Anrufbeantworter in Gang: »Ja, hallo, nimmst du immer noch nicht ab? Ich bin’s, dein Vater. Will denn niemand abnehmen? Seid ihr da? Natürlich seid ihr da. Was ist denn bloß los? Seid ihr krank? Ganz ehrlich, deine Mutter und ich sind völlig niedergeschmettert. Rose schafft es nicht mal mehr, das Bett zu verlassen, stell dir das mal vor. Hast du das gewollt? Daß wir das neue Jahr nicht gemeinsam beginnen? Hast du das gewollt? Uns fernhalten? Uns lebendig begraben? Also dann vielen Dank für die Rücksicht, die du auf uns nimmst. Bravo, Richard! Alle Achtung! Das hast du gut gemacht, mein Sohn! Es freut mich, daß deine Hand nicht zittert!«
    Richard drückte auf die Löschtaste, dann ging er im Morgenmantel auf die Terrasse, um sich diesen Tag etwas näher anzusehen, während er seinen Kaffee trank. Ein frischer Luftzug umwehte seine Waden, Atemschwaden kamen aus seinem Mund. Der ganze Garten war unter einer strahlenden Schneedecke verschwunden.
    Er war sich letztlich nicht sicher, ob er Laures Nummer wirklich schätzte. Er hatte den Eindruck, daß er sich der allgemeinen Meinung angeschlossen hatte, aber ehrlich gesagt hatte er keine große Lust mehr zu sehen, wie sie aus einer riesigen Sahnetorte sprang. Ein Klumpen Schnee fiel von einem Zweig und löste am Ende einen goldenen Puderregen aus. Er würde mit ihr darüber reden. Die Sache aufs Tapet bringen. Und plötzlich kniff er die Augen zusammen. Er entdeckte etwas Ungewöhnliches auf der Straße und beschattete seine Augen mit der Hand.
    »He! Hallo Freunde!« schrie er.
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