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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition)
Autoren: Philippe Djian
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machst du?«
    »Ich blicke in meine Hose und sehe meinen Schwanz an, warum?«
    Sie war auf dem besten Weg, den Kontakt zu Evy zu verlieren, diese einzigartige, wunderbare, außergewöhnliche Beziehung in den Sand zu setzen, von der sie ihm die Ohren vollgeschwatzt hatte, die in Wirklichkeit aber äußerst rätselhaft, kompliziert und leider sehr abstrakt war und sich nur so schwer in die Tat umsetzen ließ, daß sie gar nicht wußte, wo sie anfangen sollte.
    Sie hatte versucht, mit ihm über Gaby Gurlitch zu sprechen, weil dieses Mädchen eine etwas zu wichtige Rolle in diesem Haus spielte, aber sie hatte schnell begriffen, daß das nicht der beste Weg war, um mit ihm ins Heilige Land zu gelangen.
    Alles, was man in diesem Leben wirklich begehrte, war schwer zu erreichen. Um nicht zu sagen, unmöglich. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie alles so negativ sah, aber war man etwa gezwungen, obendrein noch blöd zu sein, war man gezwungen, bis zum Überdruß an dieses Leben zu glauben?
    Sie hob den Kopf, als sie das Knirschen von Reifen hörte. Danach das Zuschlagen einer Autotür. Und dann kam Richard angerannt. Er riß die Tür auf, stürzte ins Wohnzimmer und brüllte: » WO IST ER ?!…«
    Er war im Keller und füllte Shampooflakons der Marke Head & Shoulders, die er im Waschbecken ausgeleert hatte, mit Benzin. Anaïs, die ihn beobachtete und besagte Flaschen in eine Tasche stellte, meinte irgendwann, daß sie gerade einen Blitz gesehen habe.
    »Mach dir keine Sorgen, was das Wetter angeht«, erwiderte er.
    »Ich habe einen Blitz gesehen. Das ist alles. Mehr nicht.«
    »Im Osten? Dann zieht es ab. Beruhig dich.«
    »Es gibt keinen Regen«, behauptete Andreas, während er sich auf dem Sofa aufrichtete, auf das er sich mit Michèle seit mehreren Minuten zurückgezogen hatte, und seine Hose und sein mit psychedelischen Motiven bedrucktes Hemd wieder zuknöpfte. »Stell dir nicht so viele Fragen, Anaïs«, fügte er hinzu.
    Sie schaute diesen hinkenden Dreikäsehoch an, der ihr Mut zusprechen wollte, und zuckte die Achseln. Sie schob die letzte Flasche in die Tasche und zog schroff den Reißverschluß zu.
    Sie blickten auf, als sie den Lärm von oben hörten, die laute Stimme.
    Während sie hinaufgingen, wandte sich Evy zu Anaïs um und erklärte ihr, daß niemand sie auf die Probe stellen wolle. Sie habe bereits tolle Arbeit geleistet. Ihr sei es zu verdanken, daß sie Dany Clarence die Lehre erteilen konnten, die er verdiene, dank der Hinweise, die sie ihnen geliefert habe, doch, doch, ganz ohne Scheiß!
    Das ging ihr runter wie Öl. Dieser Junge war zwar verrückt, aber sie verdankte ihm die wenigen Momente der Wärme, die sie seit Lisas Tod erlebt hatte. Das konnte sie nicht leugnen. Noch heute morgen, auf der Fahrt zu seinem erbärmlichen Vater, hatte sie sich wohl gefühlt, mehrmals richtig wohl gefühlt, hatte gespürt, wie ihr das Herz schneller schlug, als sie zum Beispiel über den Paß gefahren waren und The Black Heart Procession gehört und stumm einen Blick gewechselt hatten, ehe sie wieder in den Wald eindrangen.
    Die Stimme wurde lauter, als sie das Erdgeschoß betraten.
    Sie gehörte Brigitte, deren Gesicht heftige Anspannung und zugleich starken Ärger ausdrückte. Mit einem erstickten Schrei stürzte sie mit dem Telefon in der einen Hand und einem Holzlöffel in der anderen in der Küche zu Boden. An dem köstlichen Geruch, der aus einem gußeisernen Kochtopf einer französischen Marke drang, erriet man leicht, daß sie ein Kalbsfrikassee zubereitete.
    »Kommt! Laßt uns abhauen! Wir kümmern uns nicht um sie!« erklärte Andreas mit Bestimmtheit und humpelte auf seinen drei Beinen auf die Haustür zu.
    Draußen wurde es inzwischen dunkel. Der Geruch nach feuchter Erde stieg aus den Wäldern auf, deren Baumkronen noch von der Sonne beschienen wurden.
    »Ich habe den ersten Tropfen gespürt«, sagte Anaïs mit spitzbübischer Miene.
    Sie stiegen in den Subaru und fuhren bis zur Hauptstraße, wo sie der Stadt den Rücken kehrten.
    »Was hatte Brigitte denn?« fragte Michèle seufzend.
    »Ach ja, richtig«, kicherte Andreas. »Wir haben sie gar nicht gefragt.«
    Er erzählte schließlich, daß Brigitte und seine Mutter sich seit drei Tagen praktisch pausenlos in der Wolle hätten, aber er glaube schon seit langem nicht mehr daran, denn jedesmal hatten sie sich am Ende wieder versöhnt und waren wieder ein Herz und eine Seele. Daraufhin beugte er sich über die Packung mit kühlen Bierdosen, die er mit
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