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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition)
Autoren: Philippe Djian
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alles, was man sich vorstellen konnte, sagte er sich.
    Aber es war die Sache durchaus wert. Sie hielt den Fünfhundert-Euro-Schein mißtrauisch gegen das Licht, als sei André der Gauner in dieser Geschichte, und dann erzählte sie ihm die Auseinandersetzung zwischen Richard und seinem Sohn. Sie wiederholte alles, was sie gesehen und gehört hatte. Äußerst kostbare Informationen.
    Das Mädchen entwickelte für diesen Preis ein echtes Erzähltalent. Er konnte sich gut vorstellen, wie dem Jungen die Worte in der Kehle steckengeblieben waren, wie er unfähig gewesen war, auch nur ein Wort herauszubringen, und wie er schließlich versucht hatte, seinen Vater zu schlagen, ein Versuch, der kläglich gescheitert war. Er konnte sich gut die verschiedenen Phasen der Begegnung vorstellen, Richards absurdes Geschwätz über so unterschiedliche Themen wie den literarischen Mißerfolg, den allgemeinen Überdruß, den anhaltenden Schmerz, das Gefühl des Alleingelassenseins und den Zweifel, den Dany Clarence wieder hatte hochkommen lassen, und außerdem habe er keine Lust mehr, gegen eine Wand geschleudert zu werden, ohne sich verteidigen zu können. Evy hatte, wie es schien, versucht, ihm zum Schluß einen Kinnhaken zu versetzen, doch Richard war diesem geschickt ausgewichen. Daraufhin hatte Evy es noch einmal versucht, aber er hatte nur ins Leere geboxt, bis Richard ihn schließlich überwältigte und mit Gewalt zum Subaru zurückbrachte.
    Anaïs mußte ein paar Minuten später anhalten und ihn am Gürtel seiner Hose festhalten, während er den Kopf in eisiges Wasser steckte, das zwischen schwarzen, bemoosten Felsen, die wie ein schöner Samtteppich wirkten, hinabrann. Anschließend rubbelte sie ihn mit einem T-Shirt ab, zündete ihm eine Zigarette an und wartete neben ihm, bis er den Moment für geeignet hielt, den Rückweg anzutreten.
    All das war sehr interessant. Um sie herum packten die Zimmerleute vor sich hin pfeifend ihre Sachen ein, und ein Reinigungsteam aus vergnügten jungen Filipinos saugte Staub, putzte die Fenster, wienerte die Maschinen und Turngeräte mit einem staubabweisenden Mittel, das nach Spiritus roch.
    »Schämst du dich denn nicht, mein Kleines, Geld von mir zu erpressen, um mich auf dem laufenden zu halten? Ist dir das nicht unangenehm?«
    Er seufzte kurz, während er zusah, wie sie in ihrem Elefantengang davonstampfte, aber er freute sich darüber, daß er jetzt wußte, was gespielt wurde, wie man sagt, und auch darüber, daß er die Umbauarbeiten glücklich zu Ende gebracht hatte, freute sich, daß er seine Energie für diesen Zweck eingesetzt und dadurch ermöglich hatte, daß dieser herrliche, solide Fitnessraum entstanden war und diesem Haus größere Ausmaße und eine größere Grundfläche gegeben hatte, wenn man die Sache gefühlsmäßig betrachtete. Vermutlich war es verrückt von ihm gewesen, sich derart einzusetzen, vermutlich hatte die Sache seiner Gesundheit geschadet, aber man kann sich nicht ändern, man kann einem Menschen nicht das Herz ausreißen, den Kopf ja, aber nicht das Herz, das Herz bleibt immer das gleiche, wie er so gern sagte, sein Herz kann man nicht austauschen.
    Ein weißer, leuchtender Schleier bedeckte den Himmel wie mit Baumwolle und nahm allmählich die Färbung alter Kacheln an, je weiter der Nachmittag fortschritt.
    Dank seines sechsten Sinns spürte André, daß sich irgend etwas zusammenbraute. Als Rose anrief, um ihm mitzuteilen, daß das Bett, der Schreibtisch und der Schrank für Evys zukünftiges Zimmer endlich geliefert worden waren, teilte er ihr seine Vorahnung mit.
    »André«, stöhnte sie, »du machst mir angst, weißt du.«
    »Ja. Das tut mir leid. Aber hier, das müßtest du mal sehen, ist der Himmel fast erschreckend weiß. Es würde mich nicht wundern, wenn es heute nacht ein Gewitter geben würde.«
    »Diese Kinder! Mein Gott! Sie sind zu allem fähig.«
    »Ja. Wem sagst du das. Aber denk nur mal daran, was der Junge empfunden haben muß. Das habe ich dir noch gar nicht gesagt, denn Richard war noch dazu mit einer Frau zusammen. Ja, du hast richtig gehört. Dein Sohn war mit einer Frau dort. Alexandra Storer, damit du es genau weißt. Also so was, kannst du dir das vorstellen?«
    »Alexandra Storer?«
    »Ja, Alexandra Storer. All das macht mich richtig krank… Sieh mal einer an, da kommt Laure… O mein Gott! Oh, là, là! Au weia!… Stell dir vor, sie kann nicht mehr gerade gehen. Sie wäre fast der Länge nach hingefallen, nein so was. Siehst
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