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Die Frauen von Savannah

Die Frauen von Savannah

Titel: Die Frauen von Savannah
Autoren: Beth Hoffman
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sie mit ihrem Lippenstift ein dickes rotes X über das Gesicht meines Vaters, quietschte vor Lachen, schüttelte sich das Haar auf und ging hinaus.
    Ich weiß nicht, was der Auslöser gewesen war, aber seit diesem Tag ging Mommas Stimmung auf und ab wie ein Jojo. An einem Tag kriegte sie einen Tobsuchtsanfall und machte alles kaputt, was sie in die Finger bekam, am nächsten war sie die Ruhe selbst, wie ein Glas Wasser. Und dann war sie von jetzt auf gleich verschwunden. Ich bekam Panik und lief die Straße auf und ab und rief mit klopfendem Herzen ihren Namen. Irgendwann fand ich sie, wie sie in der Nachbarschaft von Tür zu Tür ging und für irgendeine Wohltätigkeitsorganisation sammelte, von der noch nie jemand gehört hatte. Ein paar Leute hatten Mitleid mit ihr und steckten ein oder zwei Münzen in ihre Sammelbüchse, aber die meisten machten ihr die Tür vor der Nase zu.
    Sie wurde so unberechenbar, dass ich nie wusste, was mich nach der Schule zu Hause erwarten würde – ein Teller pappiger, halb gebackener Plätzchen oder gedämpfte Schluchzer, die unter ihrer verschlossenen Zimmertür hervordrangen. Ich wusste nicht, was ihr fehlte, aber ich wusste, dass keine andere Mutter in unserer Stadt sich so aufführte. Die anderen Mütter brachten frisch gebackene Cupcakes in die Schule, und ich sah sie mit ihren Kindern, manchmal auch mit Hunden, in der Stadt. Die anderen Mütter wirkten glücklich, und man konnte anscheinend Spaß mit ihnen haben. Mit meiner Momma hatte ich keinen Spaß mehr. Manchmal benahm sie sich so seltsam, dass ich Angst bekam.
    Ich sah mit an, wie sie über die Jahre immer mehr den Bezug zur Realität verlor und immer weiter wegdriftete, aber richtig schlimm wurde es an einem windigen Nachmittag im Frühling, als ich neun Jahre alt war.
    Ich war auf dem Heimweg von der Schule und genoss den Wind im Gesicht, als drei Jungs an mir vorbeiliefen. Einer bremste ab und stupste mich an. »Hey, Honeycutt, ich wusste ja gar nicht, dass du Geburtstag hast. Aber bei euch im Vorgarten wartet ’ne Sahneschnitte auf dich!«
    Er stieß ein gemeines, prustendes Lachen aus und verschwand um die Ecke. Als ich in unsere Straße einbog und Momma sah, wurde mir ganz heiß. Meine brünette Mutter hatte sich die Haare weiß gebleicht und stand in einem Albtraum von quietschgelbem Ballkleid im Vorgarten. Das Kleid war so eng, dass die Nähte sich an einigen Stellen kräuselten, an anderen schon geplatzt waren, und unter dem üppigen, gerafften Rock bauschten sich lagenweise steife weiße Petticoats.
    Wie eine Sahneschnitte sah das nicht aus. Eher wie eine explodierte Hochzeitstorte. Und als hätte das nicht gereicht, funkelte in der Sonne auch noch ein Strass-Diadem, das krumm und schief auf ihrem Kopf saß. Sie warf den Vorbeifahrenden Kusshände zu.
    »Ich liebe euch!«, rief sie und winkte einem Cabrio voller Jugendlicher zu.
    Der Fahrer hielt mit quietschenden Bremsen an und fuhr rückwärts zu ihr zurück. Er zog noch einmal an seiner heruntergebrannten Zigarette und schnippte sie auf die Straße. »Hey, Baby«, rief er Momma zu. »Irres Outfit. Was läuft?«
    »Bitte wählt mich!«, sang sie über den Rasen hinweg. »Ich mache euch stolz auf unseren großartigen Staat Georgia!«
    Die Jungen lachten, und einer sagte: »Georgia? Wieso, sind Sie verrückt oder so was? Das hier ist Willoughby, Ohio.«
    Dass er recht hatte, schien völlig an ihr vorbeizugehen. Sie warf ihm noch eine Kusshand zu. »Vergesst nicht, mich zu wählen!«
    Einer der Jungen auf der Rückbank winkte sie heran. »Klar wähle ich dich. Komm her, setz dich auf meinen Schoß.«
    Sie kicherte und ging zum Wagen. Als sie gerade auf dem Gehweg war, trat der Fahrer aufs Gas und fuhr mit quietschenden Reifen an. Qualmwolken hingen in der Luft, aber Momma warf einfach weiter Kusshände.
    Es war mir so peinlich, dass ich am liebsten auf der Stelle implodiert wäre. Ich wusste, dass ich sie beim Arm nehmen und ins Haus hätte bringen sollen, aber vor lauter Scham haute ich in die entgegengesetzte Richtung ab. Meine Bücher an die Brust gedrückt, rannte ich so schnell ich konnte bis zur Stadtbücherei. Ich drückte die schwere Holztür zur Damentoilette auf, versteckte mich in einer Kabine und schlug ein Buch auf. Ich las, so schnell ich konnte, ich fraß mich durch die Seiten, bis mein Herz aufhörte zu wummern, bis die Geschichte aus dem Buch real wurde und mein Leben nur noch eine Geschichte war – eine Geschichte, die einfach nicht wahr war.
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