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Die Frauen von Nell Gwynnes

Die Frauen von Nell Gwynnes

Titel: Die Frauen von Nell Gwynnes
Autoren: Kage Baker
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einer Maske des Entsetzens eingefroren waren. Dies traf nicht nur im übertragenen Sinne zu – er war blau vor Kälte, und Eis glitzerte auf ihm. Seine Arme waren über dem Kopf ausgestreckt wie bei einem Taucher; seine Finger verkrümmt wie Klauen.
    „Hol’s der Teufel! Das ist Emile Frochard.“
    „Nicht der Graf de Mortain?“
    „Keineswegs. Dieser Bursche ist Spion im Dienste der Österreicher! Aber sie haben den echten Grafen erpresst. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie die Einladung für die Versteigerung abgefangen hätten. Tja. Seltsam. Ich frage mich, woran er gestorben ist.“
    „Ich glaube, ich habe eine Idee“, sagte Mrs. Corvey mit einem Seitenblick auf das Haus. „Ich werde gleich mehr wissen.“
    „Sollen wir irgend etwas mit ihm machen?“
    „Nein! Lassen Sie ihn für den Augenblick einfach liegen, Mr. Ludbridge.“
    ***
    Lady Beatrice stand einen Moment lang ruhig im Gang vor den Schlafgemächern und lauschte angestrengt. Prinz Nakhimov hatte dem Anschein nach eine weitere Anekdote begonnen, die von der Wolfsjagd handelte. Ein eisiger Windhauch wehte derart unerwartet über den Gang, dass Lady Beatrice zusammenzuckte. Wäre sie nicht so schonungslos pragmatisch gewesen, hätte sie eine übernatürliche Ursache vermutet. So offenbarte eine kurze, gründliche Musterung des Gangs einen Wandbehang am Ende der Halle, der sich bewegte, als ginge dahinter ein Luftzug. Lady Beatrice erkannte die Unterkante einer Tür in der Wand.
    Sie näherte sich dieser vorsichtig und zog den Wandteppich zur Seite. Die Tür dahinter stand offen. Lady Beatrice erkannte einen kurzen Gang, den das Mondlicht durch die unverglasten Fensterschlitze erhellte. An seinem Ende befand sich eine weitere Tür.
    Auf dem Weg den Gang entlang blickte Lady Beatrice durch eines der Fenster hinaus und sah, dass sie sich hoch oben in der Luft befand, und der Gang die Rückseite des Hauses mit dem Turm auf dem Burghügel verband wie eine überdachte Brücke. Sie eilte über die rohen Holzplanken und versuchte, die Tür am anderen Ende zu öffnen. Dies liess sich problemlos bewerkstelligen, da das Schloss zerstört war.
    Lady Beatrice stand einen Augenblick lang blinzelnd im hell erleuchteten Raum dahinter. Die Beleuchtung kam nicht von Kerzen oder Öllampen, sondern von etwas, das einer riesigen Gruppe von De-La-Rue-Lampen glich. Was Lady Beatrice in helle Überraschung versetzte, hatte sie doch geglaubt, lediglich die Spekulative Gesellschaft der Gentlemen befände sich im Besitz der praktischen Vakuumlampen.
    Ihre Überraschung war jedoch nichts im Vergleich zu der des Insassen des Raums. Er wandte sich um, erblickte sie und erstarrte für einen Augenblick. Er glich Lord Basmond so sehr, er hätte dessen Geist sein können – nur magerer, blasser und unendlich fragiler. Seine Hände und die blossen Füsse waren kreidebleich und zu lang, um anmutig zu wirken. Seine Kleidung bestand nur aus einer Hose mit Hosenträgern, einem Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren sowie einem Lederband rund um den fast haarlosen Schädel. An dem Band waren verschiedene Brillen an beweglichen Bügeln und eine kleine Vakuumlampe befestigt, die ein gespenstisches Licht auf sein entsetztes Antlitz warf.
    Er kreischte schrill auf wie ein Kaninchen in einer Falle und trippelte ausser Sicht.
    Lady Beatrice trat in den runden Raum. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich eine schmale Bettstatt, eine Kommode und ein Waschtisch. In der Mitte des Raumes lag eine Falltür, fest verschlossen und verriegelt. Daneben stand eine Art Werkbank, auf der etwas lag, das einer zerlegten Uhr glich. Die herumliegenden Werkzeuge machten deutlich, dass das Geschöpf an diesem Gerät gearbeitet hatte, als Lady Beatrice eingetreten war. Das Auffälligste an dem Raum war die Dekoration. Auf dem weissen Putz an den Wänden befanden sich bis zu einer Höhe von über drei Metern Kohlezeichnungen von Maschinen, Uhrwerke, Flaschenzüge, Kolben, Federn, Drähte. Hier und da standen dem Anschein nach auch erklärende Anmerkungen in Kurzschrift, die Lady Beatrice nicht lesen konnte. Auch der Sinn und Zweck der dargestellten Geräte erschloss sich ihr nicht.
    Sie umrundete die Werkbank auf der Suche nach dem Bewohner des Raums. Er war nirgends zu sehen, doch jenseits der Falltür befand sich ein Behälter von der ungefähren Grösse und Form eines Wäschemanglers. Lady Beatrice kniete sich daneben.
    „Sie müssen keine Angst haben, Mr. Rawdon“, sagte sie.
    Aus der Kiste
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