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Die Frauen von Clare Valley

Die Frauen von Clare Valley

Titel: Die Frauen von Clare Valley
Autoren: Monica McInerney
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wünschen. Oder auch nicht. Nichts entschuldigen … Martha las den Rest nicht mehr, sie hatte sich bereits entschieden. Sie würde Heiligabend aufbrechen und am zweiten Weihnachtstag zurückkommen. Zwei Nächte sollten reichen, selbst wenn das Angebot drei Übernachtungen umfasste. Sie wollte auch nicht mit den anderen Gästen essen. Sondern allein auf ihrem Zimmer. Sie füllte das Anfrageformular aus und klickte auf »Senden«.
    Sie hatte gerade einen Ordner mit Tabellen aufgeschlagen, da kündigte sich eine neue E-Mail an. Martha schaute auf. Die Betreff-Zeile lautete: H erzlichen G lückwunsch !
    Gäste 5, 6 und 7
    Holly zog ihre kleinen Schwestern ganz nah zu sich. Und doch nicht nah genug. Das Geschrei vor der Tür war immer noch zu hören. Das Geschrei, die Flüche, die Vorwürfe. Das ging schon eine halbe Stunde so. Am Vortag waren es bloß zehn Minuten gewesen. Am Tag davor mehr als eine Stunde.
    »Mit etwas Glück werden sie bald heiser«, sagte Holly bemüht fröhlich.
    Belle weinte schon. Und wenn sie erst einmal anfing, fiel Chloe meist mit ein. Und tatsächlich hielt Holly eine Minute später zwei weinende Mädchen im Arm.
    »Hab ich euch auf dem Computer schon die tolle Weihnachtskarte gezeigt?«, fragte sie beschwingt. »Das ist die reinste Zauberei. Schaut mal.« Vielleicht konnte sie mit der digitalen Weihnachtsmusik den Streit ihrer Eltern wenigstens eine Zeit lang übertönen.
    Die Ablenkung funktionierte, zumindest anfangs. Holly brachte ihre Schwestern mit sanftem Druck dazu, den Anweisungen auf dem Bildschirm zu folgen, hier und da zu klicken, gemeinsam einen Schneemann zu bauen, dem sie eine Möhrennase und Augen aus Kohlestückchen aufsetzten. Wie grotesk. Der Himmel über Adelaide war strahlend blau. Die Wahrscheinlichkeit, dass es schneite, war ähnlich groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Eltern zivilisiert miteinander umgingen und die Weihnachtstage nicht zu einem Schlachtfeld, sondern fröhlich würden. Holly lauschte kurz, worum es in dem Streit vor ihrer Tür ging. Offenbar um Geld. Unbezahlte Rechnungen. Darum, wer mehr arbeitete. Mehr verdiente. Fauler war. Fetter war. Mehr im Haus tat. Geschrei, Anschuldigungen, und es wurde immer lauter.
    Holly zog ihre Schwestern noch näher an sich. »Kommt her, ihr Minis.« Die beiden waren deutlich jünger. Holly war fast siebzehn, Chloe erst acht und Belle gerade sechs geworden. Der große Altersunterschied war nicht geplant. Holly wusste von vier Fehlgeburten. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, wie sehr sie jedes dieser Kinder gewollt und dass sie lange geglaubt hätte, Holly wäre und bliebe ihr einziges Kind. Aber dann war Chloe gekommen und zwei Jahre später Belle. Manchmal wünschte sich Holly, die Babys hätten überlebt und sie hätte zahlreiche Geschwister. Wenn das Haus voller Kinder wäre, wäre ihre Mutter vielleicht glücklich. Wenn zwischen ihr und ihren Schwestern nicht so viele Jahre lägen, hätte sich ihr Vater vielleicht nicht so sehr in die Arbeit gestürzt. Vielleicht. Wenn. Ich wünschte.
    Belle schien ihre Gedanken zu lesen. »Wir sollten uns alle etwas wünschen. Ich fang an. Ich wünsch mir, dass es zu Weihnachten schneit.«
    »So oder so, wir singen in jedem Fall White Christmas, das verspreche ich«, sagte Holly. »Und natürlich Jingle Bells, nur für dich, Jingle Belle. Du bist dran mit deinem Wunsch, Chloe. Fällt dir auch etwas mit einem Weihnachtslied ein?«
    Chloe fuhr zusammen. Draußen knallte etwas auf den Boden. »Ich wünsch mir eine stille Nacht.«
    Niemand lachte über ihren Scherz. Holly beugte sich vor und drehte das Radio lauter, um mit der fröhlichen Popmusik den Streit auszublenden, der nun auf die zerbrochene Vase, Schale oder Tasse folgte. »Glückwunsch, Chloe. Dein Wunsch geht in Erfüllung«, sagte sie entschieden. »Wir sorgen dafür. Was meint ihr? Sollen wir wegfahren und irgendwo ruhige Weihnachten verbringen? Mum und Dad sagen, dass wir erst zurückkommen, wenn sie mit dem Streiten aufhören?«
    Zwei kleine Gesichter sahen staunend zu ihr auf. »Können wir das? Wirklich?«
    Könnten sie das? Wirklich? Sie dachte eilig nach. Sie hatte den Führerschein. Seit sie sechzehn war. Streng genommen durfte sie nur mit einem Erwachsenen an ihrer Seite fahren, doch streng genommen sollten Kinder auch ein fröhliches Weihnachtsfest verbringen und nicht mit dem Gedanken spielen, ihren ständig streitenden Eltern davonzulaufen …
    Tat sie das hier wirklich? Dachte sie gerade ernsthaft darüber
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