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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Autoren: Harald Muellner
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der Verstand stehen blieb.
    Die Kolonisten brüllten und tobten, als sich der Alte
langsam in den Kegel des Scheinwerfers bewegte.
    »Wie Sie vermutlich alle wissen, sollte seine Tochter Karen
damals als erste aussteigen, doch aufgrund einer Unpässlichkeit entschied
Mission Control Jacqueline Lambert dieses Privileg zukommen zu lassen.« Er
blickte ins Publikum, ließ seinen Blick über die Tribüne und die Ehrengäste
schweifen, sah auf die drei im Scheinwerferlicht Stehenden. Dann räusperte er
sich.
    »Was soll das werden?«, fragte Nancy erneut.
    »Selbe Frage, gleiche Antwort«, entgegnete Andy, der in der
Zwischenzeit keinen Deut schlauer geworden war.
    »Ich stehe nun hier …«, setzte der Botschafter noch
feierlicher und ganz ergriffen von seiner eigenen Wichtigkeit fort, »und bin
vom internationalen Präsidenten beauftragt, folgendes zu verkünden: Wir, die
wir vor fünfundzwanzig Jahren begonnen haben, eine neue Welt zu besiedeln, um
uns eine zweite Heimat zu schaffen, wollen dies – wenn auch verspätet – mit
Würde, Anstand und«, es folgte eine Pause, »Ehrlichkeit tun.«
    Wie soll ich das jetzt auffassen, dachte Robert, wenn ein
Politiker von Würde, Anstand und Ehrlichkeit spricht. Vorhin, als er sagte »Ich
stehe nun hier«, wusste ich zumindest, dass sich diese Behauptung leicht und
einfach überprüfen lässt. Aber jetzt?
    »Wir wollen diese neue Welt nicht auf dem Fundament einer
Lüge aufbauen – zumindest ab dem heutigen Tag nicht mehr. Und darum bedeutet es
mir sehr viel, wenn ich heute hier stehen darf, um der Geschichte das
zurückzugeben, was ihr bisher gefehlt hat, was WIR ihr genommen hatten –
nämlich die Wahrheit.« Er sah zu McDonnel.
    Roberts Blick wanderte ebenfalls zu dem Alten und er glaubte,
in dessen Miene eine mehrbändige Enzyklopädie aus Freude, Trauer und
Enttäuschungen lesen zu können.
    »Wir feiern heute die Frau, mit der alles begann, die die erste
war, die mit ihrem Schiff und ihrer Crew hierher kam, die den Weg bereitete für
andere, für uns; und die auch die erste war, die mit ihren Marsboots, Größe
achtunddreißig, ihren Fußabdruck an den westlichen Ausläufern von ›Ascraeus Mons‹
hinterließ: Ms Karen McDonnel.«
    Stille lag über dem Saal. Hätte es innerhalb der Basis
welches gegeben, so hätte man es nun hören können, das Gras, wie es wächst. Verwirrung
hing greifbar über den Köpfen der Anwesenden.
    Robert beschloss, den Vorsatz, seine Kinnlade zu schließen,
für diesen Tag ein für alle Mal aufzugeben – es hatte ja doch keinen Zweck.
    Der Alte stand wie vom Blitz getroffen an seinem Platz.
Robert war die Veränderung in seinem Gesicht nicht entgangen, als er den Namen
seiner Tochter hörte. Andy stand da und rang mit den Tränen, als ein riesiges
Porträt von Karen als holografische Projektion über den Köpfen im Dunkel der
Kuppel Gestalt annahm. Nancy fiel ihm um den Hals und klatschte ihm einen
dicken Kuss auf die Wange. Dann lief sie zu dem Alten und küsste ihn und küsste
ihn und küsste ihn.
    Als die Menge diese Szenen sah, warf sie die letzten und
auch ersten fünfundzwanzig Jahre der ihr bekannten Marsgeschichte über Bord und
sie bejubelten ihre neue alte Heldin.
    Der Botschafter war kaum noch
in der Lage, sich Gehör zu verschaffen. »Wir schreiben ab heute die Geschichte
neu – und zwar so, wie sie sich tatsächlich zugetragen hat.« Aber seine Worte
versanken ungehört im Trubel der Menge.
    ›Wir schreiben ab heute die
Geschichte neu – so wie sie sich tatsächlich zugetragen hat.‹ Also das war ja
ganz neu – selbst für einen Journalisten.
    Rot und gelb leuchtete der frühe Marsmorgen durch die Fenster
ihres Büros. Danielle saß kerzengerade an ihrem Schreibtisch und studierte
Unterlagen, die Kolonie betreffend. Wirtschaftsdaten, Versorgungslieferungen, Gewächshäuser,
Notfallpläne, als die Stimme des Sekretärs sie aus ihrer Konzentration riss.
    »Ein Mr Atwood ist hier für Sie. Sind Sie da?«
    Danielle grübelte, doch sie konnte sich an niemanden dieses
Namens erinnern. »Schicken Sie ihn rein«, sagte sie und fuhr sich mit der
rechten Hand durchs Haar.
    Sie stand bereits hinter ihrem Schreibtisch, als sich die
Tür nahezu geräuschlos aufschob. »Ah, der Journalist«, entfuhr es ihr. »Bitte, nimm
doch Platz.«
    Etwas unsicher, fast eingeschüchtert kam er ihr an diesem
Tag vor, als er sich gemächlich auf der breiten Couch niederließ. Sein Blick
wanderte über ihr Gesicht, schien irgendetwas darin zu suchen.
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