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Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Titel: Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Autoren: H kan Nesser
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heruntergezogenen Ziegeldach. Langsam, aber zielstrebig strichen sie über feuchte Grasbüschel, und als nur noch zehn Meter zurückzulegen waren, leitete Van Veeteren den Angriff ein, indem er vorpreschte und sich direkt neben der Haustür an die Wand presste. Reinhart folgte ihm und hockte sich unter eines der Fenster.

    Lächerlich, dachte Van Veeteren, während er dastand, nach Atem rang und seine Dienstpistole umklammerte. Was, zum Teufel, treiben wir hier eigentlich?
    Oder war es ernst?
    Resolut trat er die Tür auf und lief hinein. Er trat andere Türen auf, begriff aber bald, dass das Haus, wie Reinhart es vorausgesagt hatte, leer war.
    Wenn sie uns erschießen wollte, hätte sie das schon lange tun können, dachte er und schob seine Pistole in die Tasche. Er ging in das größte von drei Zimmern, fand einen Lichtschalter und knipste das Licht an. Reinhart kam herein und sah sich um.
    »Da liegt noch ein Brief«, sagte er und zeigte auf den Tisch.
    Der Hauptkommissar ging hin und hob ihn auf. Wog ihn in der Hand.
    Dieselbe Art Kuvert.
    Dieselbe Handschrift.
    Derselbe Adressat.
    Kommissar Van Veeteren, Maardam
    Und immer noch hatte er das Gefühl, dass er träumte.
     
    Die Präzision, dachte Van Veeteren. Es ist diese verfluchte Präzision, die das Ganze so unwirklich erscheinen lässt. Es gibt keinen Zufall, hatte Reinhart gesagt, aber im Grunde genommen ist genau das Gegenteil der Fall. Das wurde ihm jetzt klar. Wenn plötzlich der Zufall überhaupt keine Rolle mehr spielt, dann können wir uns kaum noch auf unsere Sinne verlassen. Ihrem Zeugnis von Geschehnissen und Zusammenhängen vertrauen.
    Es gab zwei Korbsessel im Zimmer. Reinhart hatte sich bereits in einen gesetzt und seine Pfeife entzündet. Der Hauptkommissar setzte sich in den anderen und begann zu lesen.
    Er brauchte dafür nur wenige Minuten, und als er fertig war, las er den Brief noch einmal. Danach schaute er auf die Uhr und reichte den Brief wortlos an Reinhart weiter.

    Zur Beerdigung meiner Mutter kam nur ein Mensch. Das war ich.
    Die Zeit ist knapp, und ich werde mich kurz fassen. Ich will kein Verständnis, aber ich möchte, dass Sie wissen, was das für Männer waren, die ich getötet habe. Meine Mutter hat mir – zwei Wochen bevor sie starb – erzählt, wie ich gezeugt wurde.
    Mein Vater, das waren vier Männer. Es war in der Nacht zum 30. Mai 1965. Sie war siebzehn Jahre alt und unschuldig. Sie vergewaltigten sie zwei Stunden lang in einem Studentenzimmer in Maardam, und damit sie nicht schrie, hatten sie ihr die Unterhose von einem der Männer in den Mund gestopft. Ein Schlips war ihr um Mund und Nacken gebunden. Während meiner Schöpfung spielte man auch Musik. Immer wieder die gleiche Scheibe, sie fand später heraus, was es war, und kaufte sie. Ich habe sie noch.
    Als sie meine Mutter fertig befruchtet hatten, schleppten sie sie nach draußen und warfen sie in ein Gebüsch in einem Park in der Nähe. Einer meiner Väter sagte, sie wäre eine Hure, und er würde sie umbringen, wenn sie darüber reden würde.
    Meine Mutter erzählte niemandem, was mit ihr passiert war, aber nach zwei Monaten ahnte sie, dass sie schwanger war. Nach drei Monaten war sie sich sicher. Sie ging noch zur Schule. Sie versuchte mich mit all den Tricks und Methoden umzubringen, von denen sie gehört hatte, aber es gelang ihr nicht. Ich wünschte, es hätte geklappt.
    Sie sprach mit ihrer Mutter, die ihr aber nicht glaubte. Sie sprach mit ihrem Vater, der ihr nicht glaubte und der sie schlug.
    Sie sprach mit ihrer tüchtigen älteren Schwester, die ihr nicht glaubte, die ihr aber vorschlug, das Kind abzutreiben.

    Da war es schon zu spät, und ich wünschte, dem wäre nicht so gewesen.
    Mein Großvater gab ihr eine kleine Summe, um uns beide loszuwerden, und ich wurde weit entfernt in Groenstadt geboren. Dort wuchs ich auch auf. Meine Mutter hatte die Namen meiner Väter herausgekriegt und von ihnen ein wenig Geld bekommen, als sie damit drohte, alles aufzudecken. Als ich zehn war, besorgte sie sich noch einmal eine gewisse Summe, aber das war schon alles. Sie bezahlten. Das war für sie kein Problem.
    Ich wusste schon sehr früh, dass meine Mutter eine Hure war, und ich wusste auch, dass ich eine werden würde. Mit dem Stoff und dem Alk war es genauso.
    Aber ich wusste nicht, warum das so war, ahnte es nicht, bis sie mir kurz vor ihrem Tod von meinen Vätern erzählte.
    Meine Mutter wurde 47 Jahre alt. Ich selbst bin erst 30, aber ich habe so lange
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