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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
Autoren: Margot S. Baumann
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flachen Hand auf den Sekretär, so dass einige Schriftstücke in die Luft flogen und langsam zu Boden flatterten.
    »Es reicht, Bernhardine Amalia!«, fauchte er seine Tochter an. »Du vergisst dich! Am Fünfzehnten wirst du dich auf den Weg nach Schloss Hallwyl machen, und im Juni wird geheiratet. So ist es abgemacht und wird geschehen!«
    Er wies mit dem Arm zur Tür und ging drohend einen Schritt auf seine Tochter zu. Bernhardine raffte ihr Kleid und stürmte aus dem Arbeitszimmer.
    Franz Ludwig ließ sich schnaufend auf seinen Stuhl zurückfallen und seufzte. Er strich sich den Schweiß von der Stirn, wischte die Hand an seiner Kniehose ab und kratzte sich unter der Allongeperücke, die einen penetranten Geruch nach Talkumpuder und Schweinefett verbreitete. Der Sommer hatte erst begonnen, doch schon jetzt ächzte das ganze Land unter einer brütenden Hitze, die breite Risse im Ackerboden entstehen ließ und das Vieh beutelte. Amandine, sein Eheweib, lag ihm seit Tagen in den Ohren, nach Bern zurückzukehren, um die heißen Tage in ihrer Stadtresidenz zu verbringen. Doch Franz Ludwig hatte keine Lust auf endlose Mahlzeiten in unbequemer Kleidung und städtisches Geschwafel.
    Er hangelte mit seinem Schnallenschuh nach einem Pergament, das zu Boden gefallen war, und hob es auf. Es zeigte seinen zukünftigen Schwiegersohn. Der Künstler hatte den Bräutigam darauf mehr als geschönt.
    Johannes von Hallwyl war Witwer, fünfundfünfzig und somit zwei Jahre älter als er selbst. Der Aargauer trug einen altmodischen Gehrock mit Aufschlägen, ein gefälteltes Hemd, das ihm wie eine Schaumkrone aus der geknöpften Weste sprang, dazu einen Dreispitz mit einer albernen Feder.
    Franz Ludwig zog die Mundwinkel nach unten. Ein Adonis war sein zukünftiger Eidam wahrlich nicht. Aber Bernhardine war schon sechzehn Jahre alt, und ihr rebellisches Wesen hatte in der Vergangenheit alle Bewerber in die Flucht geschlagen. Seitdem er den Hallwyler im Frühjahr in Einsiedeln kennengelernt und dieser ihm von seinem einsamen Leben auf seinem Schloss berichtet hatte, hielt es Franz Ludwig daher für eine großartige Idee, ihm seine Jüngste schmackhaft zu machen. Der Mann war so vermögend, dass er keine übertriebene Mitgift forderte. Des Weiteren schickte ihm der Aargauer ein paar seiner besten Handwerker, die den von Diesbachs die löchrigen Decken reparieren sollten. Unentgeltlich!
    Franz Ludwig legte das Porträt seines zukünftigen Schwiegersohns auf den Sekretär zurück. Bernhardine musste sich eben fügen. Schließlich war sie bloß eine Frau und hatte zu gehorchen.
    »Weiber!«, knurrte er. »Man hat nur Scherereien mit ihnen.«

    Bernhardine warf sich auf ihr Bett und trommelte mit den Fäusten auf das Kissen. Verkauft und verschachert! Abgeschoben ins Hinterland! Sie hasste ihren Vater abgrundtief. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Lieber würde sie ins Wasser gehen, als in der Einöde dieses Landstriches zu versauern. Sie riss sich die Perücke vom Kopf und schleuderte sie quer durchs Zimmer.
    Warum nur war sie nicht als Mann auf die Welt gekommen? Dann hätte sie tun und lassen können, was sie wollte. Doch stattdessen verbrachte sie ihre Tage mit Stickarbeiten, Musizieren und gehobener Konversation. Was nützte ihr das alles, jetzt, da man sie einem Bauern versprochen hatte?
    Sie drehte sich auf den Bauch, steckte ihre Hand unter die Rosshaarmatratze und zog einen schmalen Gedichtband hervor. Der braune Ledereinband war schon ganz abgegriffen. Und eine Seite so lose, dass sie ein Lufthauch hätte davonwehen können.
    Wie konnte ihr der Vater nur so etwas antun? Es ziemte sich nicht, eine junge Edeldame einem tattrigen Zausel zu überlassen. Dieser Johannes war ja fast so alt wie Methusalem. Vielleicht hatte er schon gar keine Zähne mehr und sabberte beim Essen. Oder er hatte Mühe damit, das Wasser zu halten. Sie schüttelte sich. Vorsichtig entfernte sie das Lesebändchen.

Augen! Lasset Tränen fallen!
Weinet, was ihr weinen könnt!
Meine Hoffnung bricht mit Knallen,
weil das Glücke mir nichts gönnt.
Alle Freude ist nun hin,
hochbetrübt ist Seel und Sinn.

    Sie drehte sich auf den Rücken, presste den Gedichtband an die Brust und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sidonia Hedwig Zäunemann wusste auf alles eine Antwort. Was für eine Dichterin! Bernhardine schniefte und starrte zur Decke. Die Stuckengel, die ihr Zukünftiger dort hatte anbringen lassen, lächelten auf sie herab, als wollten sie sie verspotten. Die
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