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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid
Autoren: Beryl Bainbridge
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sagte sie und lief los.
    Er kehrte zum Campingbus zurück und schrieb einen Brief an Shaefer, in dem er ihm für seine Freundschaft dankte und ihm die Adresse des Anwalts nannte, bei dem sein Testament hinterlegt war. Er las den Brief noch einmal durch, zerriss ihn dann und verfasste einen anderen, in dem nicht von Geld die Rede war.
    Dann kritzelte er ein Briefchen an Polly und Bernard, um sich zu bedanken, dass sie ihn mit Rose bekannt gemacht hatten, aber schon nach dem ersten halben Satz musste er aufhören; das bloße Niederschreiben ihres Namens reizte ihn so, dass ihm die Worte wegblieben. Und obwohl er Mirabella wirklich gernhatte, war es wahrscheinlich keine gute Idee, ihr zu schreiben; sie würde nur depressiv werden und ihn zur Hölle wünschen, weil er der Grund dafür war.
    Da es in seinem Leben sonst niemanden gab, der Anspruch auf ein Lebewohl oder einen Dank gehabt hätte, steckte er den Füller ein und begann die auf Roses Sitz verstreuten Zeitungen zusammenzulegen; dabei entdeckte er eine Tasche mit einem zerrissenen Reißverschluss. Eine graue Strickjacke war hineingestopft, ein gepunktetes Kleid, ein schmutziger Slip und eine Geldbörse mit zwei englischen Pfund und vier Dollar. Ganz unten lagen ein Lippenstift, eine noch verpackte Zahnbürste und ein kleines Tagebuch ohne Einträge bis Mitte Mai – und auch danach war jede Seite leer bis auf das eine Wort Bald, großgeschrieben,
sowie eine Zeile am 28. Mai: »Washington Harold ist ein sehr netter Mann«, und am 30.: »Gott weiß, wie lange noch.« Als er die Tasche unter den Sitz plumpsen ließ, fiel ein Feuerzeug auf den Boden. Es war aus Silber und hatte die Initialen J. F. eingraviert.
    Er fand, er hatte noch einen Drink verdient. Als er die Autotür aufstieß, raubte ihm ein Schwall heißer Luft den Atem. Hoch oben verschlang eine schwarze Wolkenwand das Himmelsblau. Als er endlich ein Glas in der Hand hielt, war die Welt finster geworden, und über ihm krachte der Donner.
    Da es heftig regnete, rechnete er damit, dass Rose sich verspätete, auch wenn sie ständig diesen zerknitterten Regenmantel trug. Als der Wolkenbruch aufgehört hatte und eine weitere Stunde vergangen war, wurde er unruhig. Es war inzwischen acht Uhr und das Museum bestimmt schon geschlossen. Er eilte den feuchten Bürgersteig entlang, hustete, weil er Rauch inhaliert hatte, und stieß an der nächsten Straßenecke auf eine lärmende Menge, der eine Reihe von Polizisten mit Sperren Einhalt gebot. In der Ferne war der Himmel noch immer dunkel, jetzt aber hie und da feuerrot geflammt. Ein Mann zupfte ihn am Ärmel, blickte ihm ins Gesicht und fragte, ob er wisse, was da brenne, und einen Augenblick lang überflutete ihn eine Woge von Glück, weil ihn jemand wahrgenommen hatte. Dann katapultierte ihn eine Vision von Rose, den Mund weit zu einem Schrei geöffnet, zurück in die zitternde Wirklichkeit.

16
    Es war so schön, von Harold fort zu sein, dass Rose ununterbrochen lächeln musste. Sie kam sich ein klein wenig schlecht vor, schließlich war er so gut zu ihr gewesen, hatte sie durch die wilden Weiten Amerikas gefahren und für Essen und alles gesorgt, aber sie konnte nicht anders. In gewisser Hinsicht tat ja auch sie ihm einen Gefallen – er war nur deshalb so hilfsbereit, weil er einsam war und jemanden brauchte, der sein Leben ausfüllte. Eigentlich hatte sie gehofft, Dr. Wheeler werde zu ihr zurückkommen, sobald Harold nicht mehr in ihrer Nähe war, doch er kam nicht, sosehr sie sich auch konzentrierte. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass ihr die Zigaretten ausgegangen waren. Während sie unter den tropfenden Bäumen dahinspazierte, suchte sie nach einem Tabakladen.
    Als sie vor einer Bar stand und in ihren Taschen wühlte, merkte sie, dass sie ihre Geldbörse im Auto vergessen hatte. Umkehren konnte sie nicht, falls Harold seine Meinung geändert hatte und ihr nicht mehr erlaubte, außer Sichtweite zu gehen. Bestürzt
bahnte sie sich einen Weg zwischen den beschirmten Fußgängern hindurch und überlegte, ob sie es mit Ladendiebstahl versuchen sollte. Im letzten Jahr war sie zweimal auf frischer Tat ertappt worden, doch den Verkäufern war sie so kindlich und reumütig erschienen, dass sie sie hatten laufen lassen. Beim dritten Mal hatte sie eine traurige Geschichte über einen krebskranken Vater erfunden, der in seiner Verzweiflung eine letzte Zigarette rauchen wollte, und da hatte der Mann hinter der Theke ihr ein Päckchen umsonst gegeben. Aber das war
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