Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid
Autoren: Beryl Bainbridge
Vom Netzwerk:
erwiderte Mrs Shaefer und zog die Tagesdecke nach oben, als wäre sie ein Leichentuch.

    Harold wachte früh auf und nahm sicherheitshalber eine Tablette. Seine Bauchschmerzen waren auf wundersame Weise verschwunden, als er Dollie kennengelernt hatte, und wiedergekommen, nachdem sie ihn verlassen hatte. Seine Mutter, eine strenge Frau, glaubte nicht an Verdauungsbeschwerden. Solche Störungen, fand sie, entstünden in den Gehirnen derer, die nicht bereit seien, sich der Realität zu stellen; ihr erster Mann hatte nach dem Börsenkrach 1929 eine Dickdarmentzündung bekommen.
    Er kontrollierte, ob sich jemand an der Plane zu schaffen gemacht hatte. Vorsichtshalber zog er die Pappschachtel heraus, wickelte sie aus dem Kissenbezug und schob sie unter den Fahrersitz. Dabei bekam er ein Papier zu fassen; es war der Zeitungsausschnitt, den er in Baltimore an die Schlafzimmertür gepinnt hatte. Er stopfte ihn in die Tasche, dann ging er nach oben in die Wohnung. Rose schlief immer noch.
    Jesse machte Frühstück. Er und George zeigten sich besorgt über sein Vorhaben. Sie fanden es bedauerlich, dass die Begegnung nicht in Washington stattfand, wo sie ihm hätten helfen können. Drei Köpfe seien besser als einer, schließlich seien fünf Jahre vergangen, und Wheeler trage nicht allein die Schuld. Man habe auf beiden Seiten Fehler gemacht.
    »Du könntest wenigstens noch ein paar Nächte bleiben«, sagte George. »Ich habe am Donnerstag Geburtstag.«

    »Sie wird schon wieder sechsundvierzig«, sagte Jesse.
    »Ich muss ihn sehen«, widersprach Harold. »Ich muss ihm etwas sagen.«
    Das stimmte nicht. Es gab nichts mehr zu sagen, und selbst wenn er Worte gefunden hätte, wären sie ihm im Hals stecken geblieben. Bevor er Dollie kennengelernt hatte, war er ein ganz vernünftiger Mann gewesen, fast schon langweilig. Er machte sich diesbezüglich nichts vor. Als er ein Junge war, hieß es, er sei zurückhaltend, eine freundliche Umschreibung. Dollies Verhältnis mit ihm hatte alle überrascht, ihn selbst am allermeisten. Sie hatten versucht, ihn zu warnen. Bud hatte ihn damals in der Herrentoilette des Restaurants Monticello beiseitegenommen und relativ zartfühlend gefragt, ob er wisse, auf was er sich da einlasse. Er hatte gebrüllt, das sei ihm egal, und Bud hatte ihn mahnend darauf hingewiesen, Leidenschaft sei ein zweischneidiges Schwert. Sie steche einem nicht nur ins Herz, sondern auch in den Verstand.
    Jesse stellte einen Teller mit Spiegeleiern auf den Tisch und sagte, er finde es seltsam, dass Wheeler dem Mädchen keinen richtigen Brief geschrieben, sondern nur eine Adresse hinterlassen habe. Das sei, als spiele er nur mit ihr.
    »Hat er jemals etwas anderes getan?«, fragte George.
    Keiner von ihnen begriff Wheelers Freundschaft mit Rose. Sie war alles andere als sein üblicher Frauentyp. George empfand sie als beinahe einfältig.

    »Die Briten haben da eine andere Einstellung«, hielt Jesse dagegen. »Das fällt mir immer wieder auf. Es kommt wohl daher, dass diese Kultur auf Isolation gründet … der Isolation eines Inselvolkes.«
    »Sie hat mir erzählt«, berichtete George, »dass ihr Vater ihr Leben zerstört hat und ihre Mutter an Spritzen gestorben ist, die man normalerweise Pferden gibt.«
    Jesse meinte, das sei der Gin gewesen. Und Rose sei sehr jung, kaum mehr als ein Kind.
    George sagte: »Ihr Vater kannte Wheeler und hat ihn als Gauner bezeichnet. Offenbar wohnten sie in derselben Straße. Einmal wurden sie fast handgreiflich, wegen einem Sitzplatz im Zug. Mit dieser lächerlichen Geschichte platzte sie heraus, als wir gerade mit Bob darüber redeten, dass Johnson noch mehr Truppen nach Vietnam geschickt hat.«
    »Sie ist älter, als ihr denkt«, sagte Harold. »Sie ist fast dreißig.«
    Er besprach die Route nach Wanakena. Er wollte Richtung Jersey City fahren und dann den Hudson flussaufwärts über Poughkeepsie, Rhinebeck und Ravena; in Corinth würde er Zwischenstation machen und Chip Webster besuchen. Jesse staunte, dass er immer noch Verbindung zu Webster hatte. Er habe nicht gewusst, dass sie so gut Freund seien.
    »Sind wir auch nicht«, sagte Harold.
    George fand es schade, dass er New York umfuhr. Da kam dieses Mädchen von so weit her und ließ sich
Ellis Island entgehen! Die Briten seien doch so scharf auf Vergangenheit.
    Harold erwiderte: »Ich bezweifle, dass Rose jemals von Ellis Island gehört hat. Die einzige Vergangenheit, die sie interessiert, ist ihre eigene.«
    Als Rose sich zu ihnen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher