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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Mawer
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Ned, todernst.« Jetzt, wo sie es ihm erzählte, kam es ihr noch unglaublicher vor. Zumindest innerhalb der Organisation ergab deren verrückte Logik irgendwie einen Sinn, aber hier im Restaurant, an einem Tisch mit ihrem Bruder, kam ihr die ganze Geschichte abstrus vor.
    »Und wer sind ›die‹?«
    Sie ließ den Blick zu den anderen Tischen schweifen. Vielleicht waren die ihr ja hierher gefolgt. Vielleicht belauschten die sie ja. Aber die anderen Gäste waren in ihre eigenen Gespräche vertieft, ohne das Paar in der Ecke zu beachten, das auf Französisch tuschelte. »Ich hab keine Ahnung. ›Die Organisation‹, so nennen sie sich. Sie haben Büros am Portman Square. Aber der richtige Name ist geheim.« Sie lachte. »Ich frage dich, wozu ein Name, wenn er geheim ist?«
    »Vielleicht ist das ja wie mit dem dritten Namen von Katzen.«
    »Ihn kennt nur die Katze und gibt ihn nicht preis …«
    »… da nützt kein Scharfsinn, da hilft kein Bitten, sie bleibt die Einzige, die ihn weiß.« Sie lachten. Er hatte ihr das Buch im ersten Kriegsjahr zu Weihnachten geschenkt. Schrullige Gedichte über Katzen von einem sonst so ernsthaften Dichter. »Wohin wollen sie dich schicken? Nach Paris vielleicht?«
    War das möglich? Sie hatte keine Ahnung. Die Zukunft war ein einziges Rätsel, eine unbekannte Welt.
    »Falls du nämlich nach Paris kommst, könntest du Clément Pelletier besuchen.«
    »Clément?« Ihre Überraschung war gespielt, Teil eines Schutzmechanismus aus Kindheitstagen. Sie hatte schon an Clément gedacht, natürlich hatte sie das. Wie auch nicht? Soweit sie wusste, war er noch immer in Frankreich, aber sicher konnte sie nicht sein. Das war mittlerweile an der Tagesordnung, Familien und Freunde verloren sich aus den Augen, Kontakte rissen ab, Beziehungen zerbrachen. Vielleicht hatte er sie längst vergessen, so wie es ihr – manchmal – gelang, nicht an ihn zu denken. Aber die Erinnerungen blieben, kleine Keime aus Sehnsucht und Schuld, die sich tief in ihrem Gedächtnis eingenistet hatten. »Ich hab ihn seit Jahren nicht gesehen. Er hat bestimmt vergessen, wer ich bin.«
    Ned grinste. »Das kann ich mir kaum vorstellen.«
    Marian spürte, wie sie rot anlief. Sie blickte weg, hoffte, dass Ned es nicht merkte, aber falls doch, so sagte er nichts. Früher hätte er ganz sicher eine Bemerkung fallen lassen und es nur noch schlimmer gemacht – »Marian ist knallrot geworden«, hätte er gesagt, und alle hätten sie angestarrt.
    »Hat er dir nicht Briefe geschrieben, als du aufs Internat gegangen bist?«
    »Hin und wieder.«
    »Öfter als hin und wieder. Ich glaube, er hat für dich geschwärmt.«
    »Ich war erst fünfzehn, Ned. Fünfzehn, sechzehn. Noch ein halbes Kind. Er war über zehn Jahre älter.«
    »Du hast aber nicht so jung gewirkt .«
    »Und überhaupt, wahrscheinlich hat er inzwischen Frau und Kind.« Sie spielte mit ihrem Brot herum, trank einen Schluck Bier – es gab nur Bier. Wein war inzwischen genauso schwer zu bekommen wie Orangen oder Bananen. »Hast du was über ihn gehört?«
    »Bloß Spekulationen. Ich glaube, er ist noch am Collège de France. Fred Joliot hat das Zyklotron kurz vor Kriegsbeginn in Angriff genommen, und mittlerweile müsste es laufen. Es sei denn, die Deutschen haben es nach Heidelberg oder sonst wohin gekarrt.« Er zuckte die Achseln, befingerte sein Besteck. »Weiß der Teufel, was da vor sich geht.« Er wirkte zerstreut, als hätte die Erwähnung von Clément und Paris ihn durcheinandergebracht. Erst nachdem der Kellner ihr Essen gebracht hatte, sprach er weiter. »Weißt du, ich hab eigentlich nie verstanden, warum Clément in Frankreich geblieben ist. Er hatte 1940 die Möglichkeit, das Land zu verlassen, aber er hat sie nicht genutzt.«
    »Was willst du damit andeuten? Dass er hätte weglaufen sollen?«
    »Andere vom Collège sind gegangen. Lew Kowarski und von Halban zum Beispiel, und sie haben eine ganze Menge Ausrüstung mitgenommen. Wieso in Gottes Namen ist Clément nicht mit ihnen gegangen? Er war doch in Bordeaux. Er hätte nur an Bord des Schiffs gehen müssen und wäre am nächsten Tag in England gewesen. Was hatte er denn zu verlieren?«
    »Vielleicht seine Ehre. Die anderen sind keine Franzosen, oder?«
    »Russe und Österreicher.«
    »Na, siehst du. Clément ist mit Leib und Seele Franzose. Herrje, das eigene Land im Stich zu lassen, wenn es besetzt wird, ist nicht besonders bewundernswert. Wenn mehr Leute geblieben wären und gekämpft hätten …«
    »Er
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