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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Mawer
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hat aber nicht gekämpft, oder? Er hat wissenschaftliche Forschung betrieben.«
    »Dann hatte er vielleicht das Gefühl, über alldem zu stehen. Reine Wissenschaft, das hat er immer gesagt.«
    Ned stieß ein bitteres Lachen aus. »Wenn ich eines gelernt habe, Äffchen, dann, dass es so etwas wie eine reine Wissenschaft nicht mehr gibt. Was ich mache oder was Kowarski macht …« Er schien nach den richtigen Worten zu suchen, fand sie aber nicht. »Jedenfalls, solltest du tatsächlich nach Paris kommen, würde mich interessieren, was derzeit am Collège passiert. Das ist alles, was ich sagen will.«
    »Wer weiß, ob die mich überhaupt nach Paris schicken? Ich fahre ja schließlich nicht in Urlaub.«
    »Das weiß ich doch. Sei nicht albern.« Er blickte sie an und lächelte. »Du bist noch immer das gute alte Äffchen, was? Fährst schnell aus der Haut.«
    »Na, so wie du redest, hört es sich an, als könnte ich einfach in den Zug steigen und eine Rundreise machen.«
    Er lachte. Die gereizte Stimmung entspannte sich. So war es immer zwischen ihnen – so schnell, wie die Gemüter sich erhitzten, beruhigten sie sich auch wieder. Sie steuerten das Gespräch auf neutralen Boden – die Tage vor dem Krieg hauptsächlich, diese seltsame idyllische Welt, die jetzt so weit weg schien, eine Landschaft, verzerrt durch den Lauf der Zeit und das übermächtige Gravitationsfeld der nachfolgenden Ereignisse: das Haus am See von Annecy, das Chalet in Megève, das Segeln und Skilaufen, der Lärm und das Lachen, wenn die beiden Familien, die Pelletiers und die Sutros, zusammenkamen. Madeleine, die sich mit ihr anfreundete, obwohl sie fünf Jahre älter war; und Madeleines älterer Bruder Clément, der gleichsam vom Finger Gottes berührt schien. Absolvent der École Normale Supérieure. Ein Physiker, dem eine brillante Zukunft prophezeit wurde. Ein zweiter Louis de Broglie, hieß es, der designierte Nachfolger des Königspaares der französischen Wissenschaft: Fred Joliots und seiner Frau Irène Curie. Wenn Ned und er über Physik diskutierten, hing Marian an ihren Lippen und versuchte, alles zu verstehen. Aber sie sprachen über unbegreifliche Mathematik und undurchsichtige Ideen und absurde Leidenschaften. Los, wir spielen »Schweinchen in der Mitte«, riefen sie manchmal, bloß dass sie es »die Wellenfunktion kollabieren lassen« nannten, und dann kollabierten sie vor Lachen über den Witz, den die gerade mal fünfzehnjährige Marian, die versuchte, den Tennisball zu fangen, nicht verstand. Und sie verfassten gemeinsam groteske Sätze, jeder immer nur ein Wort, ein Spiel, das Clément cadavre exquis nannte, köstliche Leiche. Der weitschweifige physiker prätendiert ein stupendes gebimmel. Um nur ein Beispiel zu nennen.
    Der Kellner kam und nahm ihre Teller mit. »Hör mal, ich muss gehen«, sagte sie und stand auf, um ihren Mantel zu holen. »Ich hab morgen einen langen Tag.«
    Ned war plötzlich zuvorkommend, half ihr in den Mantel und klopfte ihr auf den Rücken, als wäre ihm klar, dass sie sich wirklich auf die Sache einließ und damit etwas ziemlich Beachtliches tat, was seine brüderliche Zuwendung erforderte, so unbeholfen er sie auch zum Ausdruck brachte. »Weißt du, dass ich dich beneide?«, sagte er zu ihr. »Du kannst wenigstens aktiv was tun. Ich kann bloß weiterarbeiten und tun, was mir gesagt wird.«
    »Das macht doch heutzutage jeder.«
    Sie gingen hinaus und hielten Ausschau nach einem Taxi. In der Nähe des Restaurants war keins zu finden, und so gingen sie durch die dunklen Straßen Richtung West End. Es hatte angefangen zu regnen, und die Bürgersteige glänzten in dem spärlichen Licht. Marian klappte den Mantelkragen hoch. Irgendwer rempelte sie im Dunkeln an und schimpfte lautstark, was ihnen denn einfiele, ihm den Weg zu versperren, ehe er knurrend weitertorkelte. Es waren jetzt mehr Leute unterwegs, Schatten, die sich durch die Dunkelheit bewegten, Stimmen, redend und lachend, aber von den Gestalten losgelöst, sodass die Klänge körperlos wirkten, Ausdruck der dunklen Stadt selbst. Es kursierten Geschichten über das, was so alles während der Verdunkelung passierte. Manche Leute, so hieß es, hatten Sex auf den Bürgersteigen, während Fremde vorbeigingen, ohne etwas zu bemerken. Auch die Frauen in Stanmore erzählten sich solche Sachen. Eine von ihnen hatte sogar behauptet, es selbst schon mal gemacht zu haben. Eine echte Stehparty, hatte sie gesagt, und die anderen hatten gelacht.
    »Vater meint,
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