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Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Titel: Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Autoren: Chris Pavone
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stößt sie hervor.
    Kates Gedanken überschlagen sich. Am liebsten würde sie kehrtmachen, die Straße hinunterlaufen, um die Ecke und durch die schwere rote Tür und den stets eiskalten Durchgang rennen, durch den Säulengang, der rings um den Innenhof verläuft, hinein in die marmorne Eingangshalle, in den Aufzug mit dem Messingkorb und den fröhlich gelb gestrichenen Flur mit dem goldgerahmten Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert entlang.
    In diesem Moment breitet die Frau einladend die Arme zu einer dieser typisch amerikanischen Riesenumarmungen aus.
    In Gedanken läuft Kate durch den Flur, an dessen Ende sich ihr holzvertäfeltes Büro mit dem Blick über die Dächer der Stadt und die Spitze des Eiffelturms befindet, und greift nach dem verzierten Messingschlüssel, um die unterste Schublade ihres antiken Schreibtischs aufzuschließen.
    Umarmen? Wieso nicht? Schließlich sind sie alte Freundinnen. Gewissermaßen. Es könnte verdächtig wirken, wenn sich zwei Frauen auf der Straße begrüßen, ohne sich zu umarmen. Vielleicht würde es aber auch verdächtig wirken, wenn sie es täten.
    Dass sie beobachtet werden könnten, ist ihr sofort in den Sinn gekommen. Sie geht immer davon aus, dass die Leute sie bemerken. Erst vor wenigen Monaten konnte sie sich allmählich an den Gedanken gewöhnen, nicht auf Schritt und Tritt überwacht zu werden.
    Mittlerweile hat sie die Schreibtischschublade geöffnet. Darin steht die doppelwandige Metallkassette.
    »Was für eine Überraschung«, sagt Kate, was eine Lüge ist und doch auch wieder nicht.
    In der verschließbaren Metallkassette liegen vier Reisepässe mit Zweitidentitäten der Familienmitglieder und ein dickes Bündel Banknoten, das von einem Gummiband zusammengehalten wird – eine bunte Mischung aus Euro, Britischen Pfund und Amerikanischen Dollar in großen Scheinen, ganz neu. Ihre eigene Version von gewaschenem Geld.
    »Wie schön, dich zu sehen.«
    Und, eingehüllt in ein Stück hellblaues Chamoisleder, die Beretta 92FS, die sie diesem schottischen Zuhälter in Amsterdam abgekauft hat.

TEIL I

1
    Zwei Jahre zuvor. Washington, D.C.
    »Luxemburg?«
    »Genau.«
    » Lux emburg?«
    »Ja, ganz recht.
    Katherine wusste nicht, was sie sagen sollte. Deshalb entschied sie sich für die bewährte Standardmethode – Umgehen durch Dummstellen. »Wo liegt Luxemburg überhaupt?«
    »In Westeuropa.«
    »Ich meine, in Deutschland?« Sie wandte den Blick ab, um die beschämende Grube, die sie sich gerade grub, nicht sehen zu müssen. »Oder in der Schweiz?«
    Dexter musterte sie ausdruckslos. Sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, nichts Falsches zu sagen. »Es ist selbst ein Land«, antwortete er schließlich. »Ein Großherzogtum.«
    »Ein Großherzogtum.«
    Er nickte.
    »Du machst Witze.«
    »Es ist das einzige Großherzogtum der Welt.«
    Sie schwieg.
    »Es grenzt an Frankreich, Belgien und Deutschland«, fuhr er unbeirrt fort. »Es liegt mittendrin.«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »So ein Land gibt es nicht. Du meinst – keine Ahnung – das Elsass. Oder Lothringen. Ja, genau. Elsass-Lothringen.«
    »Das gehört zu Frankreich. Luxemburg ist ein … äh … anderes Land.«
    »Und wieso ist es ein Großherzogtum?«
    »Es wird von einem Großherzog regiert.«
    Kate wandte sich wieder der halb gehackten Zwiebel auf dem Schneidbrett zu. Die Küchenschränke waren so stark verzogen, dass die Arbeitsplatte sich – wegen der Feuchtigkeit, der Schwerkraft oder sonst eines Naturgesetzes – abzulösen drohte, womit die Grenze zwischen »schäbig, aber gerade noch akzeptabel« zu »vollkommen inakzeptabel und unhygienisch und außerdem gefährlich« überschritten war. Sie konnten die Renovierung unmöglich noch länger hinauszögern, obwohl sie – selbst wenn sie auf unnötigen Luxus und ästhetischen Schnickschnack verzichteten – vierzigtausend Dollar kosten würde. Die sie nicht hatten.
    Um zu verhindern, dass die Holzplatte vollends von den Schränken rutschte, hatte Dexter sie behelfsmäßig mit ein paar Schraubzwingen befestigt. Das war vor zwei Monaten gewesen. Seitdem war ein Weinglas zu Bruch gegangen, weil Katherine an ihnen hängen geblieben war, und eine Woche später war sie beim Schälen einer Mango dagegengestoßen, worauf ihr das Messer aus der Hand gerutscht war und sie sich die Handfläche aufgeschlitzt hatte. Es hatte so heftig geblutet, dass sie sowohl die Mango als auch das Schneidbrett vollgetropft hatte. Sie hatte am Spülbecken
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