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Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Titel: Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Autoren: Chris Pavone
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trommelte hektisch mit den Fingern auf das Lenkrad und schlug mit dem Fuß auf das Kupplungspedal, während er unablässig blinzelte. Es war gerade einmal neun Uhr früh. War der Typ auf Amphetaminen?
    Kate wandte sich ab und blickte auf die ländliche Idylle, die an ihr vorbeizog – sanfte Hügel, dichte Wälder und weitläufige Weiden mit winzigen Steinhäusern, die sich aneinanderdrängten, als wollten sie der Kälte trotzen.
    Sie würde neu starten. Sie würde, endlich, eine Frau werden, die ihren Ehemann nicht tagtäglich darüber belog, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente und wer sie wirklich war.
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    »Hi.« Kate hatte ihre Einleitung auf diese eine Silbe beschränkt, als sie am Morgen nach Dexters Eröffnung Joes Büro betrat. »Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich kündige.«
    Joe blickte von einem Bericht auf – einem gräulichen Blatt Papier aus einem Tintenstrahldrucker, der höchstwahrscheinlich irgendwo in Mittelamerika auf einem aus Sowjetbeständen stammenden Schreibtisch stand.
    »Mein Mann hat einen Job in Europa angeboten bekommen. Luxemburg.«
    Joe zog eine Braue hoch.
    »Und wir gehen mit.« Die Erklärung war eine grob vereinfachte Darstellung der Situation, hatte jedoch den Vorteil, dass sie zu hundert Prozent der Wahrheit entsprach. Und Kate war fest entschlossen, aufrichtig zu sein – mit Ausnahme eines einzigen Themas, falls es zur Sprache kommen sollte. Was garantiert der Fall sein würde.
    Joe klappte die Mappe aus dickem blauen Karton zu, die mehrere Stempel, Unterschriften und Kürzel auf der Umschlagseite trug, und schloss sie mit einer Art Metallklammer. »Was für eine Art Job ist das denn?«
    »Dexter erstellt elektronische Sicherheitssysteme für Banken.«
    Joe nickte.
    »In Luxemburg gibt es eine Menge Banken«, fügte sie hinzu.
    Joe deutete ein Lächeln an.
    »Und für eine davon wird er arbeiten.« Erstaunt registrierte Kate, wie sehr sie ihre Worte jetzt schon bereute. Mit jeder Sekunde wuchs ihre Überzeugung, dass sie einen großen Fehler beging, aber keinen Rückzieher mehr machen konnte, es sei denn, sie wollte sich bis auf die Knochen blamieren.
    »Es ist der richtige Zeitpunkt für mich, Joe. Ich mache das jetzt schon … keine Ahnung …«
    »Sehr lange.«
    Neben der Reue empfand sie jetzt auch Scham. Sie schämte sich für ihren Stolz, für ihre Unfähigkeit, eine falsche Entscheidung zu revidieren, wenn sie erst einmal getroffen war.
    »Ja. Sehr lange. Und ich langweile mich. Schon eine ganze Weile. Dieser Umzug ist eine tolle Chance für Dexter. Für uns. Es ist ein Abenteuer.«
    »Sie haben also bei uns noch nicht genug Abenteuer erlebt?«
    »Als Familie, meine ich. Ein Familienabenteuer.«
    Er nickte knapp.
    »Aber es geht nicht um mich. Na ja, nicht in erster Linie. Sondern um Dexter. Um seine Karriere und darum, endlich zu etwas Geld zu kommen. Ein anderes Leben führen zu können.«
    Joe öffnete den Mund, sodass seine kleinen gräulichen Zähne unter dem grauen Schnurrbart zu sehen waren, der aussah, als sei er ihm ins Gesicht geklebt worden. Passenderweise trug Joe bevorzugt graue Anzüge. »Besteht noch die Möglichkeit, es Ihnen auszureden?«
    Noch vor wenigen Tagen, als Dexter ihr weitere Details verraten hatte, hätte die Antwort wohl »Ja« gelautet. Oder zumindest »Vielleicht«. Doch letzte Nacht hatte Kate sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Um vier Uhr früh hatte sie aufrecht im Bett gesessen und verzweifelt herauszufinden versucht, was sie eigentlich wollte. So viele Jahre ihres Lebens – eigentlich all die Jahre – hatte sie sich mit einer ganz anderen Frage beschäftigt: Was brauche ich ? Doch was sie wollte , stand auf einem völlig anderen Blatt.
    Sie gelangte zu dem Schluss, dass die Kündigung der erste Schritt zu dem war, was sie wirklich wollte: diesem Büro für immer den Rücken kehren. Sich endgültig von ihrer Karriere verabschieden. Ein ganz neues Kapitel – nein, ein ganz neues Buch – ihres Lebens aufschlagen, in dem sie eine andere Figur war. Es musste nicht unbedingt eine Frau ohne Job und ohne jede berufliche Perspektive sein, sie wollte nur nicht länger eine Frau mit diesem Job und dieser beruflichen Perspektive sein.
    »Nein, Joe. Tut mir leid«, sagte sie deshalb an jenem schwülheißen Augustmorgen.
    Wieder lächelte Joe, diesmal ein wenig verkniffener. Im Grunde war es weniger ein Lächeln als eine Grimasse. Sie beobachtete, wie die Fassade des anscheinend stets beherrschten Bürokraten zu
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