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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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angesteuert hätten. Charlies Präsidentschaft besteht aus einer Aneinanderreihung von Erfahrungen und aus Entscheidungen, die er mit Hilfe von Beratern getroffen hat, die ihn nur ungern mit etwas konfrontieren, das er nicht hören möchte. Er betet auch, aber ich habe mich oft gefragt, ob es wirklich Gottes Stimme ist, die er dabei hört, oder doch eher die von Hank oder der Widerhall seiner eigenen.
    Charlie sieht das allerdings anders. Er starrt mich ungläubig an und sagt: »Glaubst du, es wäre mir nicht in jeder einzelnen Minute bewusst, welche Verantwortung ich als Herrscher der freien Welt trage? Lindy, wenn du jetzt gerade neu entdeckst, dass ein Präsident unter enormem Druck steht, weiß ich nicht, wo du die letzten sechseinhalb Jahre über gewesen bist.«
    »Aber bist du nicht …« Ich breche ab und setze noch einmal neu an. »Fühlst du dich nicht schuldig?«
    Er starrt mich an. »Weswegen denn?«
    »Viele der Soldaten, die jetzt sterben, sind jünger als Ella. Sie sind jünger, aber einige von ihnen sind verheiratet und haben Kinder. Oder sie kommen verwundet zurück, und was istdann, wenn einer sechsundzwanzig Jahre alt ist, beide Beine verloren hat und nie auf dem College war? Im Walter Reed haben wir so einen Mann kennengelernt, weißt du noch? Was soll er denn jetzt tun?«
    Charlie bläht die Nüstern noch mehr als sonst. Er ist – man kann es nicht anders sagen – offensichtlich angewidert. »Hast du heute in Chicago bei so einer Art Peacenik-Workshop mitgemacht? Werd endlich erwachsen, Lindy. Freiheit hat ihren Preis, und weißt du was? Es gibt eine Menge Leute, denen es eine Ehre ist, ihn zu bezahlen.«
    »Schatz, ich stelle dir doch keine Fangfragen, ich bin keiner dieser Journalisten bei den Pressekonferenzen. Können wir nicht offen miteinander reden?«
    »Worüber denn?« Sein Gesicht ist zu einer spöttischen Grimasse verzerrt, die Augen zusammengekniffen. »Ich weiß nicht, wo du das alles auf einmal herhast, aber ganz ehrlich, gerade von dir kann ich es am allerwenigsten gebrauchen.«
    Hat er nicht in gewisser Weise recht, ist es nicht viel zu spät, um jetzt noch die Spielregeln zu ändern? Unsere Vorgänger – Demokraten – waren dafür bekannt, als Team aufzutreten. »Zwei zum Preis von einem« war einer ihrer Wahlkampfslogans, und die First Lady konnte auf eine steile Karriere als Juristin zurückblicken. Aber er war ihr untreu, und sie wirkte letztlich eher polarisierend, sowohl bei Männern als auch bei Frauen (Jadey hasste sie erklärtermaßen, während ich sie immer heimlich bewundert habe), und als Charlie und ich im Wahlkampf vor allem auf den Kontrast zu der vorigen Regierung setzten, waren die Unterschiede zwischen ihr und mir keine Erfindung der Strategen, sondern es gab sie wirklich. Ich habe das Büro der First Lady aus dem West Wing wieder zurück in den East Wing verlegt, habe bis heute jegliche Kontroversen vermieden und habe so gut wie nie versucht, meinen Mann von irgendetwas zu überzeugen. Ist es nicht tatsächlich unfair, Charlie jetzt auf einmal mit meinen Ansichten und meiner Kritik zu konfrontieren? Und wäre es nicht feige, sind die Konsequenzen nicht viel zu schwerwiegend, um es nicht zu tun?
    »Vor vielleicht zwanzig Jahren«, sage ich, »war ich mal mitJadey im Country Club, und da stand in der Zeitung gerade ein Artikel über einen Mann, der Hepatitis C und Leberzirrhose hatte und sich seine Medikamente nicht leisten konnte. Der Artikel war einfach unglaublich traurig. Als ich mich umsah, waren da all diese Leute, die sich im Schwimmbecken amüsierten, und Jadey und ich lagen auf unseren Liegestühlen, und da habe ich sie gefragt, ob sie je das Gefühl hatte, sie sollte ein ganz anderes Leben führen.«
    Fast unmerklich entspannt sich Charlies Gesicht etwas; seine Nasenflügel sind nicht mehr ganz so aufgebläht.
    »Und jetzt frage ich mich, ob ich nicht eine ganz andere First Lady hätte sein sollen«, sage ich. »Ja, ich weiß, dass schon sechs Jahre vergangen sind, aber plötzlich habe ich das Gefühl: Ach,
so
geht das also! Als ich noch in der Schulbücherei gearbeitet habe, wusste ich, wenn ich den Schülern ein neues Buch vorgelesen hatte, immer erst danach, wie ich die Diskussion hätte leiten sollen und welche Aktivitäten am besten gepasst hätten. Ich wusste erst dadurch, dass ich Fehler gemacht hatte, wie ich es in Zukunft besser machen musste.«
    »Lindy …« Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Du bist eine großartige First Lady.
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