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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Autoren: Charlotte Sandmann
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konnten, und im Hafenbecken
     schwammen Eisplatten, groß und dick wie Wirtshaustische, zwischen den vor Anker liegenden Schiffen. Wenigstens war es windstill,
     sonst hätte es einem die Kälte bis in die Knochen getrieben. Der Himmel hing tief und bedrohlich über der Stadt, und in den
     Schaufenstern am Jungfernstieg brannten die Lampen hell und brachten die ausgestellten Schätze zum Strahlen. Am Gänsemarkt
     loderten Feuerchen in gusseisernen Öfen, auf deren Platten Kastanien geröstet oder Kartoffelschnitze gebraten wurden, während
     auf anderen Kessel mit Glühwein dampften.
    Die Löwenapotheke hatte geschlossen. Die Angestellten waren schon zu Mittag nach Hause gegangen, nur der Magister Schlesinger,
     der ja kein Weihnachten feierte, blieb bis zu seinem gewöhnlichen Dienstschluss. Louise verabschiedete sich von ihm, dann
     band sie ihre weiße Schürze ab und verließ die Apotheke. In Gedanken war sie ganz bei dem strahlenden Fest, das sie im ersten
     Ehejahr mit Raoul gefeierthatte. Wie hatte sich nun alles verändert! Schon nach kurzer Zeit war ihr das Löwenhaus fremd geworden. Das Zentrum ihres
     Lebens waren jetzt die Apotheke und die behagliche Wohnung darüber. Dort hätte sie auch den Weihnachtsabend verbracht, wären
     da nicht die Kinder gewesen, die sie als ihre persönlichen Schützlinge ansah.
    Im einstigen Ballsaal waren einige Männer damit beschäftigt, einen imposanten Christbaum aufzustellen – ein höchst überraschendes
     Geschenk der Familie Pritz-Toggenau, deren Schloss inmitten eines prächtigen Forstes stand. Louise hatte es kaum glauben können,
     als der Abbé ihr davon erzählte, und fühlte sich beschämt, weil sie immer noch eine solche Abneigung gegen Raouls Verwandte
     empfand. Jetzt stand der Baum noch grün und düster im Halblicht des getäfelten Raumes, dessen Decke sich hoch wie ein Kirchenschiff
     wölbte. Geschmückt und mit Kerzen versehen durfte er erst nach der Christvesper am späten Nachmittag werden. Die Mädchen,
     auf Krücken gestützt und in Krankenstühlen von anderen geschoben, konnten die Blicke nicht losreißen von dem mächtigen Baum
     und den Schachteln, in denen der glitzernde und funkelnde Baumschmuck darauf wartete, dass es Zeit fürs Schmücken wurde.
    »Frau Apothekerin!« Zwei Mädchen kamen herbeigeeilt, wobei die eine die andere stützte. »Haben Sie unseren Baum gesehen?«
    »Ja. Wunderschön, nicht? Aber jetzt muss ich in die Küche hinuntergehen und die Schwester Köchin wegen des Mittagessens morgen
     am Christtag fragen.«
    »Was gibt es denn?«, riefen mehrere Stimmen zugleich. »Der Abbé sagte, es gebe ein ganz besonders leckeres Essen.«
    »Meint ihr? Na, ich weiß nicht«, sagte Louise.
    »Huuhh   …«
    Die enttäuschten Gesichter sahen so jämmerlich aus, dass sie eilig rief: »Aber wenn ich mit der Schwester Köchin rede, dann
     macht sie vielleicht Gänsebraten mit Klößen und Kraut und dazu einen Grießkuchen mit Pflaumen.«
    Die Augen der Kinder leuchteten auf. »Oh ja, bitte!«, riefen die dünnen Stimmen durcheinander. »Sagen Sie ihr das, Frau Apothekerin,
     reden Sie bitte mit ihr!«
    Louise winkte ihnen lachend zu und stieg in die Küche hinunter, in der einst Jakobine Stokhamer gewerkt hatte und wo jetzt
     eine ältere Nonne mit rotem Gesicht und fleischigen Händen am Herd stand. Sie schnitt Gemüse in einen gewaltigen Topf, denn
     der Heilige Abend war ein halber Fasttag, sodass es zu Mittag nur Gemüsesuppe gab. Für den Abend war der traditionelle gebratene
     Fisch vorgesehen.
    »Und wie sieht es mit dem Nachtisch aus? Pudding?«
    »Nein, das hier.« Die Köchin deutete auf zwei geflochtene Körbe mit Pfefferkuchenfiguren, die mit Zuckerguss versehene weiße
     und goldene Engelchen darstellten. »Das haben Ihre Verwandten zusammen mit dem Baum gebracht. Sie sind abgezählt, sagte Fräulein
     Eugenie. Eines für jeden Gast am Tisch. Also ja nicht naschen. Wir müssen   …«
    Der Abbé trat ein und fiel ihr ins Wort. »Ich habe Sie schon gesucht, Frau Paquin. Ich muss Sie sprechen.« Er sah besorgt
     aus.
    »Was ist denn, Hochwürden?«, fragte Louise erstaunt. »Gibt es Schwierigkeiten?«
    »Nein, nein, aber Schwester Klara hat mir etwas erzählt, das mir merkwürdig erscheint.« In seiner wirren Art fing er an zu
     erklären, während er immer wieder in der Schnupftabaksdose fingerte: »Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat, aberseltsam erscheint es mir doch, und es wäre mir unangenehm, wenn eines der
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