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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria
Autoren: Anne Perry
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haben und unabsehbaren volkswirtschaftlichen Schaden anrichten.
    Nur hier und da zogen Wolkenfetzen über den klaren Himmel, doch war es noch ziemlich kühl. Pitt sah, dass eine Frau an einer Straßenecke becherweise Kaffee verkaufte – eine willkommene Möglichkeit, etwas Warmes in den Leib zu bekommen. Er musste damit rechnen, dass er keine Zeit zum Frühstücken haben würde. Er blieb stehen.
    »Morg’n, Sir«, sagte die Frau munter. Als sie lächelte, zeigte sich, dass ihr zwei Schneidezähne fehlten. »Herrlicher Tag, nur ’n bisschen frisch, was? Wie wär’s mit’m Schluck heißen Kaffee?«
    »Gern.«
    »Zwei Pence, Sir.« Sie streckte eine knotige Hand nach dem Geld aus. Dabei sah er, dass ihre Finger von den Kaffeebohnen dunkel gefleckt waren.
    Während er, auf dem Gehweg stehend, den dampfenden Kaffee in kleinen Schlucken aus dem Becher trank, überlegte er, wie er auf der Wache in der Edgware Road auftreten sollte. Bestimmt würden die Beamten sein Erscheinen dort sogar dann als Einmischung in ihre Angelegenheiten auffassen, wenn sich die Sache als so übel herausstellen sollte, dass sie eigentlich froh über die Möglichkeit sein müssten, einem anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Er konnte sich gut erinnern, wie es ihm als Leiter der Wache in der Bow Street gegangen war. Jeden Fall, und wenn er noch so unangenehm war, hatte er selbst bearbeiten wollen, und es hatte ihn zutiefst verstimmt, wenn ein Vorgesetzter, der mit den Zusammenhängen und der Beweislage weniger vertraut war als er, ihm einen Fall aus der Hand genommen hatte. Mitunter waren diese Leute nicht einmal mit den Menschen zusammengetroffen, um die es ging, hatten nicht gesehen, wo sie lebten, wem ihre Fürsorge galt, wen sie fürchteten, liebten oder hassten, ganz davon zu schweigen, dass sie selbst sie verhört hätten.
    Bei den Fällen, mit denen er im Sicherheitsdienst bisher zu tun gehabt hatte, war es in erster Linie um Vorbeugung gegangen. Er hatte Männer aufspüren müssen, die im Verdacht standen, dass sie zur Gewalttat aufriefen oder die frierenden und hungernden Massen der Armen zum Aufruhr anstifteten. Gelegentlich hatte er sich auch an der Suche nach Anarchisten oder möglichen Bombenlegern beteiligt. Ins Leben gerufen worden war der Sicherheitsdienst ursprünglich im Zusammenhang mit der irischen Frage, und er hatte, zumindest was die Bekämpfung der Gewalttätigkeit anging, durchaus gewisse Erfolge aufzuweisen. Mittlerweile bekämpfte er jede Bedrohung der Sicherheit des Landes, und unter diese Rubrik mochte es auch fallen, wenn ein führendes Regierungsmitglied in eine zwielichtige Affäre verwickelt war.
    Er trank den Kaffee aus, gab den Becher zurück, dankte der Frau und ging weiter. Als er sah, dass an der Kreuzung eine freie
Droschke anhielt, fiel er in Laufschritt und rief dem Kutscher zu, er möge auf ihn warten.
    In der Wache an der Edgware Road stellte er sich dem für den Fall zuständigen Inspektor Talbot vor und hielt ihm seine Karte hin. Dieser, mittelgroß und dürr wie ein Windhund, empfing ihn mit kaum verhohlener Ablehnung in seinem Dienstzimmer und bot ihm mit einer widerwilligen Handbewegung einen der Holzstühle an. Er selbst blieb hinter seinem Schreibtisch stehen, auf dem ein Stapel in sauberer Handschrift abgefasster Berichte lag. Ohne darauf zu warten, was sein ungebetener Besucher zu sagen hatte, erklärte er mit ausdrucksloser Stimme: »Der Fall ist sonnenklar. Die Beweislage lässt sich kaum falsch einschätzen. Da man uns sofort benachrichtigt hat, konnten wir die Frau in flagranti ertappen. Als meine Männer eintrafen, war sie gerade dabei, das Opfer auf einer Schubkarre wegzuschaffen. Die Tatwaffe, eine Pistole, lag neben ihr am Boden. Es ist ihre eigene.« Herausfordernd sah er Pitt an.
    »Und wer hat den Mord gemeldet?«, fragte Pitt. Noch während er das sagte, spürte er, wie ihn eine gewisse Hoffnungslosigkeit erfasste. Es sah tatsächlich ganz nach einem klaren, einfachen und hässlichen Fall aus. Wie der Mann gesagt hatte, führte an dieser Erkenntnis wohl kein Weg vorbei.
    »Das wissen wir nicht«, gab Talbot zurück. »Jemand hat sich bei uns gemeldet, weil geschossen worden war.«
    »Und auf welche Weise?«, hakte Pitt nach. In ihm war eine gewisse Neugier erwacht.
    »Telefonisch«, erklärte Talbot, der sofort begriffen hatte, worauf Pitt hinauswollte. »Das engt den Kreis derer, die infrage kommen, doch wohl ziemlich ein, was? Wie gesagt, wir wissen nicht, wer es war. Der
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