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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition)
Autoren: Ben Worthmann
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kramen und zog eine Schachtel Valium hervor. Sie drückte drei Tabletten aus der Palette, warf sie sich in den Mund, schüttete etwas Wein in eines der benutzten Gläser und spülte sie damit hinunter.
    “ Um Himmels willen, hoffentlich war das jetzt mein Glas und nicht seins”, sagte sie erschrocken, als sie es absetzte, und begann erneut zu weinen.
    “ Können Sie mir vielleicht, bitte, der Reihe nach erzählen, was eigentlich genau passiert ist?”, sagte er mit leisem Drängen und nahm sich den restlichen Wein.
    “ Okay, gut, okay, ich versuche es”, begann sie stockend. “Wo fange ich an? Also, er war ein alter Bekannter. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Er rief mich heute Nachmittag an und fragte, ob er am Abend bei mir vorbeischauen könne. Ich war ganz froh darüber, denn ich bin nicht gern allein, müssen Sie wissen. Und ich bin oft allein, weil mein Mann geschäftlich sehr viel unterwegs ist. Ich lade mir dann manchmal eine Freundin ein oder bin bei ihr, auch über Nacht. Ich hasse es, allein zu sein. Jedenfalls war ich ganz froh, als er heute anrief. Ich meine, wir hatten uns damals in Frieden getrennt, und was sprach schon dagegen, einen alten Bekannten oder Freund oder was weiß ich wiederzusehen? Das ist doch an sich nichts Schlimmes, oder?”
    In ihrer Stimme war jetzt etwas sehr Junges, das ihn berührte. Sie schwieg eine Weile, als erwarte sie eine bestätigende, beschwichtigende Antwort, und schaute ihn dabei an, als nehme sie ihn jetzt überhaupt zum ersten Mal richtig wahr. Die Farbe ihrer Augen changierte im Lampenlicht zwischen Blau und Dunkelgrün. Er fragte sich, wie alt sie sein mochte und schätzte sie auf maximal dreißig. Und er fragte sich, was sie wohl über diesen Mann dachte, der ihr gegenüber saß und wesentlich älter war als sie; in vier Monaten würde er sechsundfünfzig werden. Er selbst hätte sich schwer getan mit einer Selbstbeschreibung, obwohl er schon so viele und so vieles beschrieben hatte. Soweit es nur die Äußerlichkeiten betraf, war es noch relativ einfach: Er war mittelgroß und schlank, dabei aber ziemlich kräftig und insgesamt in akzeptabler Form, weil er auf dergleichen achtete und mindestens zwei Mal die Woche ins Fitnessstudio ging, hatte kurzes graues Haar und ein schmales Gesicht mit tiefliegenden graublauen Augen, die manchmal etwas müde, meistens aber wach und neugierig blickten und er legte im allgemeinen Wert auf seine Kleidung. An diesem Abend trug er schwarze Jeans, ein anthrazitfarbenes Polohemd und eine leichte Jacke aus dunklem Leinen und dazu weiße Turnschuhe, was einen gewissen Stilbruch darstellte; aber er hatte ihn sich gestattet, da es bei seiner einsamen, späten Wanderung durch die Straßen nicht so darauf ankam.
    Seine Freundin Eva amüsierte sich bisweilen über seine Eitelkeit und nannte sie kurios angesichts der Tatsache, dass er doch schließlich in all den vielen Jahre, in denen er Gott weiß wo in der Welt unterwegs gewesen war, bestimmt nie Wert auf seine Kleidung gelegt habe. Vielleicht kompensiere er ja einen gewissen Nachholbedarf. Irgendwie passe das jedenfalls nicht richtig zu ihm, da er bekanntlich allem Materiellen wenig Bedeutung beimesse. Manchmal nannte sie ihn einen unverbesserlichen idealistischen Träumer.
    Bei dem Gedanken an Eva wurde ihm unwohl. Was sie sagen würde, wenn sie ihn hier sitzen sähe, wollte er sich lieber gar nicht ausmalen.
    “ Das ist doch im Grunde nichts Schlimmes gewesen, oder?”, wiederholte die Frau im Sessel gegenüber. “Ich konnte doch nicht ahnen, wie das Ganze dann laufen würde.”
    Er schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Ihre Stimme klang inzwischen um einiges gefasster, offenbar tat das Valium seine Wirkung. Sie schilderte, wie sie beide zunächst im Wohnzimmer gesessen und sich unterhalten hätten. Ganz normal und unverfänglich sei das gewesen. Irgendwann sei sie dann in die Küche gegangen, um eine Kleinigkeit zum Essen anzurichten.
    “ Und auf einmal stand er dann vor mir. Er hat mich gepackt. Ich habe versucht, mich loszureißen, aber er ist....er war...so viel stärker, Sie müssen ihn sich ja nur ansehen, ein großer, kräftiger Mann. Ich habe es trotzdem versucht, mich zu wehren, aber in der Diele hat er mich wieder gepackt und er fing an, mir die Kleider vom Leib zu reißen. Irgendwie waren wir dann plötzlich wieder in der Küche, und er drückte mich gegen die Spüle. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte, vor lauter Angst, und irgendwie bekam ich dann
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