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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition)
Autoren: Ben Worthmann
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fahren. Er lief oder wanderte dort dann und wann und wusste, dass es befahrbare Wege gab, die ziemlich tief in den Wald hineinführten. Er war sich nur noch nicht ganz klar darüber, was genau sie mit dem Leichnam machen sollten – ihn einfach irgendwo ablegen oder versuchen, ihn zu verstecken.
    Was sind das nur für Gedanke, schoss es ihm immer wieder durch den Kopf. Er erinnerte sich, wie er einmal im Sudan dabei gewesen war, als Männer, die sich selbst als Freiheitskämpfer bezeichneten, die Leichen mehrerer Soldaten hatten verschwinden lassen. Sie hatten sie mit Benzin überschüttet und anschließend die verkohlten Reste vergraben. Sein Bericht hierüber war, entgegen allen üblichen Gepflogenheiten, unter einem Pseudonym abgedruckt worden.
    Auf der Straße war weit und breit kein anderes Fahrzeug zu sehen, als er in den Wald einbog. Er überlegte, ob es von Nutzen sein könne, den Toten auszuziehen und die Kleidung zu verbrennen, verwarf den Gedanken aber sofort. Wichtig war, all seine persönlichen Gegenstände zu beseitigen und Oliver Rensing – zumindest vorübergehend und am besten für möglichst lange Zeit – eine namenlose männliche Leiche zu verwandeln. Gefunden werden würde sie ohnehin über kurz oder lang, das war gar nicht zu vermeiden, und irgendwann würde der Namenlose identifiziert werden. Auch dagegen ließ sich nichts machen. Am wichtigsten war, dass nichts, keinerlei Spur, kein noch so geringer Hinweis auf die Tatsache zurückblieb, dass Rensing an diesem Abend bei Julia Gerlach gewesen war.
    Deshalb musste er auch die Decke verschwinden lassen, mit der er hatte verhindern wollen, dass etwaige Blutspuren im Wagen zurückblieben. Und noch etwas fiel ihm ein.
    “ Sie müssen nachher, zu Hause, noch einmal gründlich putzen und alles, wirklich alles abwischen, was er angefasst haben könnte.”
    Sie nickte ergeben.
    Nach etwa einem Kilometer kamen sie an eine Stelle, wo ein kleinerer, nicht befahrbarer Weg abzweigte und, wie im Scheinwerferlicht zu erkennen, der Boden von einer besonders dicken Laubschicht bedeckt war. Auch einige abgebrochene Äste und Zweige lagen herum.
    “ So, dann wollen wir mal”, sagte er und stoppte.
    Diesmal half sie ihm ohne weitere Aufforderung. Gemeinsam hievten sie den Toten aus dem Wagen, trugen ihn ein Stück und ließen ihn aus der Decke auf die Erde gleiten. Mit einem Ast schaufelte er einiges Laub zur Seite, sodass eine flache Mulde entstand. Sie rollten den Leichnam hinein und verteilten das Laub darüber. Zum Schluss legte er noch einige Zweige darüber, rollte die Decke ein und warf sie hinten in den Wagen zu der Tüte.
    Als er wieder einsteigen wollte, stand sie auf einmal vor ihm und ließ sich gegen ihn fallen. Sie drückte ihr Gesicht in seine Halsbeuge.
    “ Bitte einmal ganz festhalten, ganz fest”, flüsterte sie, und dann: “Danke, danke.”
    “ Danken Sie mir nicht zu früh”, sagte er, während sie sich voneinander lösten, und bereute es sofort angesichts ihres verängstigten Blicks.
    Auf der Rückfahrt sprachen sie wenig. Er fuhr einige Umwege, möglichst weit weg vom Grunewald. An einer Baustelle, vor der ein übervoller Schuttcontainer am Straßenrand stand, hielt er an und stopfte die Decke zwischen die Masse aus Mörtelresten, Steinen, leeren Zementsäcken und verschmutzten Plastikplanen.
    Als sie in Lichterfelde auf einer der Kanalbrücken waren, bremste er abermals, wartete, bis ein Auto fort war, das gerade vorbeikam, nahm das Handy und das Messer aus der Tüte und warf beides hinab in das dunkle träge Wasser. Den Fahrschein zerfetzte er, sodass die Schnipsel hinterher regneten. Den Schlüsselbund ließ er einige hundert Meter weiter in einen Gully fallen. Jetzt befand sich nur noch Oliver Rensings Brieftasche in der Tüte. Er zog sie heraus, schob sie in seine Jackentasche, zerknüllte die Tüte und steckte sie an einer Bushaltestelle in den Abfalleimer.
    Sie hatte alles, was er tat, mit aufmerksamen, unsicheren Blicken verfolgt. Er selbst betrachtete sein Vorgehen als wahrscheinlich übertrieben akribisch. Doch wenn er sich schon auf all dies eingelassen hatte, wollte er auch ganz sicher gehen und keinen unnötigen Fehler machen.
    “ Was haben Sie denn mit der Brieftasche vor?”, fragte sie.
    “ Nur Geduld”, sagte er etwas schroff, weil sich in ihm gerade ein unbestimmtes Gefühl von Bitterkeit und Unbehagen regte, “das werden Sie dann schon noch sehen.”
    Als sie wieder bei ihrem Haus ankamen, begann bereits das
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