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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition)
Autoren: Ben Worthmann
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genau”, entgegnete er knapp. Dann ließ er sich von ihr erneut etwas zum Putzen bringen und bat sie außerdem um eine Schere.
    “ Gehen Sie nur, gehen Sie ins Bad, ich mache das hier schon”, sagte er und ignorierte ihren fragenden Blick.
    Nachdem sie hinauf ins Bad gegangen war, nahm er sich noch einmal den Boden in der Diele und in der Küche vor, widmete sich besonders intensiv der Türschwelle, wischte den Glastisch im Wohnzimmer ab, spülte in der Küche alle Gläser sorgfältig aus und rieb auch sämtliche Türklinken ab. Anschließend beschäftigte er sich ausgiebig mit Oliver Rensings Brieftasche. Er zog die Karten und den Personalausweis heraus und zerschnitt alles in kleine Streifen und Stücke. Auch die Brieftasche zerschnitt er, was sich als ziemlich mühselig erwies, denn die Schere war nicht richtig scharf und das Leder sehr zäh.
    Als er mit dieser Arbeit endlich fertig war, trug er alles zusammen ins Gäste-WC gegenüber der Kellertür und warf es in die Toilette. Er musste mehrmals die Spülung drücken, bis auch die letzten Überreste all dessen, was er von dem Toten noch bei sich getragen hatte, mit einem Gurgeln im Abfluss hinab gesogen worden war.
    Die Idee zu dieser definitiven Entsorgungsmethode war ihm erst gekommen, als sie schon in die Kolbestraße eingebogen waren. Zweifellos konnte man es als pietätlos bezeichnen, die persönlichen Hinterlassenschaften eines Menschen ins Klo zu spülen. Doch wesentlich entwürdigender als alles Vorherige war das auch wieder nicht, was sowohl für den Toten galt als auch für ihn, Robert Kessler, und sein Tun, wie ihm abermals mit einer dunklen Aufwallung zum Bewusstsein kam. Jedenfalls war jetzt nichts mehr übrig, was an den toten Mann hätte erinnern können – nichts, bis auf die Geldscheine und die Münzen, die er beiseite getan hatte, bevor er mit seinem Zerstörungswerk begonnen hatte. Geld war schließlich neutral. Es gab nichts Neutraleres, nichts Unpersönlicheres als Geld. Er legte alles auf den Glastisch – es waren genau 93,65 Euro.
    Als sie wieder zur Tür hereinkam, hatte sie einen weißen Bademantel an, der kurz genug war, um viel von ihren schlanken, schönen, leicht gebräunten Beinen zu zeigen. Sie hatte ihn nur lose zugebunden. Ihr Haar war noch nass und verstrubbelt.
    “ So, alles erledigt. Ich muss dann mal so allmählich los”, sagte er und stand aus dem Sessel auf.
    Mit ein paar schnellen Schritten war sie bei ihm.
    “ Muss das wirklich sein? Können Sie nicht noch etwas bleiben?”
    Sie trat noch dichter an ihn heran, umklammerte seine Schultern. Der Gürtel des Bademantels löste sich und er fiel auseinander.
    “ Bitte bleiben Sie...bleib doch einfach hier. Wir können auch zusammen schlafen, falls du...falls Sie das wollen.”
    Er wollte das nicht, obschon ihm nur zu bewusst war, dass vieles dafür sprach, dass er genau das wollte.
    “ Nun wollen wir doch mal vernünftig sein”, sagte er und machte sich los. Für eine Weile schwiegen sie beide. Ihre Augen suchten seinen Blick.
    “ Können wir denn wenigstens mal telefonieren?”, fragte sie zaghaft, als sie einsah, dass es zwecklos war. “Ich meine, falls irgendetwas ist. Ich weiß doch überhaupt nicht, was da jetzt noch alles auf mich zukommen kann, was alles noch passieren kann.”
    Er gab ihr nur die Festnetznummer und sie kramte ihr Handy aus der Handtasche hervor und tippte sie ein. Dann wollte sie auch seine Adresse wissen. Er zögerte. Er hatte das dunkle Gefühl, dass es bereits falsch gewesen war, ihr seinen Namen zu nennen, aber das ließ sich ja nun nicht mehr rückgängig machen. Nichts ließ sich mehr rückgängig machen.
    “ Grünewaldstraße”, sagte er nur, “Es ist nicht allzu weit von hier, ungefähr zwanzig Gehminuten. Steht aber auch im Telefonverzeichnis.”
    Erst jetzt entdeckte sie das Geld auf dem Tisch.
    “ Was ist denn das dort? Was soll das?”, fragte sie.
    “ Das war in seiner Brieftasche.”
    “ Und was soll ich damit?”
    “ Sie können es ja spenden. Spenden Sie es für Amnesty International oder die Kindernothilfe oder von mir aus auch für Attac”, sagte er mit einem Beiklang von verhaltenem Sarkasmus. Sie quittierte es mit einem verständnislosen, wunden Blick, der an den Blick eines getroffenen Tiers erinnerte.

4.
    Es war fast Tag, als er wieder in seiner Wohnung ankam. Er duschte, während die Kaffeemaschine lief, aß zum Frühstück seine üblichen zwei Scheiben Vollkorntoast mit Magerquark und Honig und verwarf den
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