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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman
Autoren: Ben Aaronovitch
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zu kalt. Einmal kam eine Frauengruppe vorbei, die offensichtlich einen Junggesellinnenabschied feierte, ein rundes Dutzend Frauen, die sich mit überdimensionalen rosa T-Shirts , Häschenohren und hochhackigen Schuhen verkleidet hatten. Ihre bleichen Beine waren mit Kälteflecken übersät. Natürlich erblickte mich eine von ihnen.
    »Geh nach Hause, Süßer«, rief sie herüber. »Er kommt heute nicht mehr.«
    Ihre Freundinnen lachten kreischend. Eine hörte ich sagen: »Dass die gut aussehenden Typen immer schwul sein müssen   …«
    Daran musste ich denken, als ich einen Mann von der anderen Seite der Piazza herüberkommen sah. Heutzutage gibt es so viele Pubs, Clubs und Chatrooms für Schwule, dass sich keiner mehr in eiskalten Nächten in öffentlichen Toiletten oder auf Friedhöfen herumtreiben muss, um den richtigen Mann für seine momentan dringlichsten Bedürfnisse zu finden. Trotzdem riskieren manche Leute immer noch Erfrierungen an den unteren Körperzonen   – fragen Sie mich nicht, warum.
    Der Mann war ungefähr einsachtzig groß, also rund sechs Fuß nach unserem guten alten britischen System, und trug einen wunderbar geschnittenen Maßanzug, der seine breiten Schultern und die schmalen Hüften betonte. Ich schätzte ihn auf Anfang vierzig. Er hatte ein längliches, fein geschnittenes Gesicht und braunes Haar mit einem altmodischen Seitenscheitel. Im Licht der Natriumdampflaternen war seine Augenfarbe schwer zu erkennen, aber ich hielt sie für grau. Er hatte einen Stock mit silbernem Knauf dabei; ohne hinzusehen wusste ich, dass seine Schuhe Handarbeit waren. Es fehlte nur noch ein hübscher Boyfriend mit leicht ethnischem Einschlag an seiner Seite, dann hätte ich ihn glatt wegen Auf-die-Spitze-Treibens des klassischen Schwulenklischees einbuchten müssen.
    Als er auf mich zuschlenderte, offenbar in der Absicht, mich anzusprechen, war ich überzeugt, dass er tatsächlich nach einem Boyfriend mit leicht ethnischem Einschlag suchte.
    »Hallo«, sagte er mit einem Oxfordakzent wie ein klassischer englischer Bösewicht in einem Hollywoodstreifen. »Was treiben Sie hier denn so?«
    Ich überlegte, ob ich es nicht zur Abwechslung mal mit der reinen Wahrheit versuchen sollte. »Ich bin auf Geisterjagd«, sagte ich.
    »Interessant«, bemerkte er. »Jagen Sie irgendeinen spezifischen Geist?«
    »Nicholas Wallpenny.«
    »Sagen Sie mir bitte Ihren Namen und Ihre Adresse?«
    Kein Londoner würde diese Frage jemals widerspruchslos beantworten. »Wie bitte?«
    Er griff in sein Jackett und holte die Brieftasche heraus. »Detective Chief Inspector Thomas Nightingale«, sagte er und zeigte mir seinen Dienstausweis.
    »Constable Peter Grant«, sagte ich.
    »Von der Charing-Cross-Wache?«, fragte er.
    »Jawohl, Sir.«
    Er schenkte mir ein eigenartiges Lächeln. »Na, dann jagen Sie Ihren Geist mal weiter, Constable.« Damit drehte er sich um und schlenderte die James Street hinauf.
    Das hatte ich ja sauber hingekriegt   – soeben hatte ich einem Detective Chief Inspector erzählt, dass ich Geister jagte. Wenn er mir das abnahm, bedeutete es, dass er mich für total durchgeknallt hielt. Und wenn er es nicht glaubte, musste er annehmen, dass ich darauf aus war, mich der Erregung öffentlichen Ärgernisses schuldig zu machen.
    Und der Geist, den ich suchte, hatte sich auch nicht blicken lassen.
    Sind Sie jemals von zu Hause weggelaufen? Ich schon,zweimal sogar. Beim ersten Mal war ich neun und kam bis zum Argos-Supermarkt in der High Street von Camden Town. Beim zweiten Mal war ich vierzehn und schaffte es bis zum Bahnhof Euston. Dort stand ich schon vor der Abfahrtstafel, als ich es mir dann noch einmal überlegte. Bei beiden Gelegenheiten wurde ich weder gerettet noch entdeckt oder zurückgebracht. Ich glaube, meine Mutter hatte meine Abwesenheit gar nicht bemerkt, und bei meinem Vater bin ich absolut sicher, dass er sie nicht bemerkte.
    Beide Abenteuer endeten auf die gleiche Weise   – ich merkte irgendwann, dass ich wieder nach Hause zurückkehren musste. Für mein neunjähriges Ich war es wohl die Erkenntnis, dass der Argos-Supermarkt die absolute Grenze meiner Welterfahrung darstellte. Jenseits dieser Grenze gab es noch eine U-Bahn -Station und ein großes Gebäude mit Statuen von Katzen, und noch weiter draußen gab es noch mehr Straßen und Buslinien, die vor irgendwelchen trostlosen, leeren Kellerlokalen endeten, in denen es nach Bier stank.
    Als Vierzehnjähriger dachte ich schon rationaler. In den
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