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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge
Autoren: Marta Randall
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Blick, daß er die Arbeit fahren ließ und zu ihr an die Stalltür kam. Zusammen durchquerten sie schweigend die Felder, bis die Stallgeräusche in der Ferne verklangen. Von einem dringenden Bedürfnis erfaßt, ließ Mish sich in das ungemähte Gras sinken und zog ihn an sich.
    In der Wärme, die ihrem Liebesspiel folgte, kehrte Mishs Unruhe zurück. Sie suchte die verstreut herumliegenden Kleider zusammen, deckte sich und Jason damit zu, und er legte seinen Kopf auf ihre Brust und seufzte. Er schloß die Augen, aber bevor es Mish gelang, ihre Gedanken der Realität anzupassen, schmiegte er sich noch enger an sie und berührte ihre Wange mit einem Finger.
    „Ich konnte sie nicht zurücklassen“, murmelte er. „Sie lebten in einem Lager in der Nähe des Raumhafens, und es waren so viele. Wer starb, wurde wie ein Stück Abfall über die Umzäunung geworfen. Wir mußten uns den Rückweg erkämpfen. Ich dachte, der Rat würde froh sein, wenn ich sie mitnähme, aber … Kapitän Hetch ließ sie alle rein. Er hat keinen einzigen zurückgewiesen. Oh, Mish, es waren so viele Menschen auf Neuheim …“
    Seine Stimme drückte Schmerz aus. Mish hielt ihn fest in ihren Armen. „Es ist ja in Ordnung, Jase. Jetzt sind sie in Sicherheit.“
    „Ich weiß nicht einmal, wer sie sind. Ich habe einfach zugepackt, Mish. Ich habe einfach hinter mich gegriffen, sie gepackt und vor mir hergeschoben. Manche fielen einfach um und blieben im Schnee liegen, weil sie krank oder alt waren, aber es waren so viele. Ich habe alles versucht.“ Er zitterte.
    „Wissen sie denn nicht, was mit Neuheim los ist?“
    „Vielleicht. Sicher. Aber die Leute da sind alle verrückt. Sie kümmern sich nicht darum. Sie versuchen einander umzubringen, bevor alles zu Ende ist.“ Jason lachte trostlos. „Sie sind zu sehr damit beschäftigt, die Menschen vor ein Gericht zu stellen und zu exekutieren, bis sie von ihrer Sonne gerichtet werden. Und das wird bald sein, sagt Hetch. Vielleicht aber nicht bald genug. Ihre Seelen sind verrottet.“ Jason legte eine Hand über seine Augen und Mish küßte seine Finger. „So viele Menschen, Mish, und soviel Schnee.“
    So eng wie möglich an sie geschmiegt, schlief er ein. Mish hielt ihn fest und lauschte den entfernten Geräuschen des Stalles. Über ihr schwebten zwei Halbmonde dahin, und hinter ihnen leuchteten vor einem pechschwarzen Hintergrund die unzähligen Sterne der Spirale. Sie fragte sich, wie die Sterne wohl aussahen, wenn man sie von Neuheim aus betrachtete und sie durch die kalte Luft eines Winterlagers sah. Und es gab so viele Menschen dort, die dunkelhaarig waren wie sie oder hell wie Tabor Grif. Alte Männer. Kinder. Was Hetch ihr von den dort stattfindenden Säuberungen erzählt hatte, ergab für sie keinen Sinn: Politik, Parteien, religiöse Überzeugungen, Philosophien. Die Sonne dieser Welt war im Begriff, sich in eine Nova zu verwandeln, und das Klima Neuheims nahm chaotische Formen an – das waren die wirklichen Übeltäter. Fünf Jahre der Dürre und drei Hungerjahre. Wäre die Regierung Neuheims bei Sinnen gewesen, hätte sie den Planeten, als die größte Katastrophe sich abzeichnete, evakuieren lassen. Aber an einem Stern, an einer Lufthülle, meteorologischen Gegebenheiten und Feuersbrünsten konnte man sich nicht rächen. Außerdem hätte ein solches Vorgehen keinen Profit gebracht. Deswegen benötigte man einen Sündenbock, den inneren Feind, den man aus einer Schublade ziehen, auf den man einschlagen und den man umbringen konnte – denn die Trockenheit und die sterbende Sonne waren dafür denkbar ungeeignet. Man benötigte Symbole, die man ausplündern und einsacken konnte. Alte Frauen. Kinder. Den Schnee. Die Nationale Front, die über alle Grenzen hinwegreicht und den Feind zerschmettern würde. Kein Wunder, daß der Rat etwas dagegen gehabt hatte, daß Jason die Leute mitnahm. Der Rat hatte seine Rache haben wollen, aber die kann man nicht ausüben, wenn einem die auserkorenen Opfer davonlaufen.
    Eine kleine sechsbeinige Eidechse lief über Mishs Arm, hielt an, plapperte empört vor sich hin und sprang dann ins Gras. Einer der Monde glitt hinter den Horizont. Der andere stand genau darüber, so daß die Sterne der Spirale ihren Glanz von ihm zu empfangen schienen. Mish wandte den Kopf, wühlte mit dem Gesicht in Jasons Haar, und er bewegte sich in ihren Armen. Sie schloß die Augen. Morgen würden sie über Gren und Laur und die Verpflegung sprechen und Pläne machen, wie sie mit
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