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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin
Autoren: Christopher W. Gortner
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zusammen und schlief elf Stunden lang. Als ich erwachte, fand ich Lucrezia auf einem Schemel an meiner Seite. »Ihr habt viel gelitten«, bemerkte sie sachlich. »Aber jetzt müsst Ihr wie ein Tier sein, das nur für den Tag lebt.«
    »Wie könnte ich?«, fragte ich betrübt. »Anders als das Tier weiß ich, was der morgige Tag bringen kann.«
    »Dann müsst Ihr es lernen. Ob es uns gefällt oder nicht, der heutige Tag ist alles, was wir haben.« Sie streckte die Hand aus und nahm mir den Brief ab. »Lasst mich den verwahren«, sagte sie, dann rief sie die anderen Frauen herein, die mich mit emsiger Fürsorge umgaben. Nur wenige Schritte von hier war Rom blutgetränkt, doch innerhalb dieser vier Wände fühlte ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit in Sicherheit.
    Und so hatte ich mich erholt, als Papa Clemens ankam.

    Die Kerzen eines verbogenen Kandelabers verbreiteten mildes Licht, als ich mich dem päpstlichen Thron näherte und in die Knie sank. Papa Clemens bedeutete mir mit einer Geste, mich zu erheben. Während ich mich aufrichtete und ihn ansah, versuchte ich mich zu erinnern, wie er früher ausgesehen hatte. Er war aus Rom geflohen, war gezwungen gewesen, von Weitem zuzusehen, wie die kaiserlichen Truppen seine Heilige Stadt entweihten, doch für mich sah er aus, als sei er aus der Sommerfrische zurückgekehrt, die kantigen Wangen von gesunder Farbe, die fleischigen Lippen von einem silbrigen Bart umrahmt. Er trug elfenbeinweiße Gewänder, deren üppige Falten von makelloser Reinheit waren; als ich auf seine Füße blickte, sah ich goldbestickte Pantoffeln. Allein in seinen Augen entdeckte ich die Nachwirkungen des Exils: von blaugrüner Farbe, blickten sie mich scharf, abschätzend und misstrauisch an. Mir wurde bewusst, dass ich ihn gar nicht kannte. Er musste wohl das Gleiche empfunden haben. Er musterte mich wie eine Fremde, und seine Umarmung war matt, als läge ihm nichts an mir.
    »Das werden sie mir büßen«, knurrte er. »Sie alle – die Nonnen von Santa Lucia, die Florentiner Rebellen, dieser Verräter Karl der Fünfte. Sie werden für ihre Untaten bezahlen!«
    Ich wusste, dass er nicht mit mir sprach; und als ich mich wieder verneigte und rückwärtsgehend entfernte, sah ich die Kardinäle seiner Kurie in den Ecken beisammenstehen und mich wie Raubvögel beäugen.
    Mich schauderte. Was auch immer sie im Schilde führten, es war sicherlich nichts Gutes.

    Papa Clemens ließ mich monatelang nicht zu sich rufen; ich blieb in der Obhut meiner Kammerfrauen. Es dauerte mehrere Wochen, bis ich nachts durchschlafen konnte, ohne aus Albträumen von der schrecklichen Zeit in Santa Lucia hochzuschrecken. Es war mir eine Genugtuung zu erfahren, dass die Schwestern von Savonarola mit einem saftigen Bußgeld und dem Befehl zur Ordensauflösung gestraft worden waren; weniger erfreut war ich darüber, dass Papa Clemens sich weigerte, den Florentinern ihre republikanischen Rechte zurückzugeben, und ihnen einen seiner Statthalter als Regenten aufgezwungen hatte. Lucrezia nahm mir gegenüber kein Blatt vor den Mund. »Er wird Florenz unter seiner Zwangsherrschaft knechten und dafür sorgen, dass Kaiser Karl eine ebenso bittere Pille schlucken muss.«
    Ich wusste, dass sie recht hatte. Aber ich war noch jung und zufrieden damit, in Ruhe gelassen zu werden, im Park spazieren zu gehen, zu lesen und neue Kleider angepasst zu bekommen, zu essen und zu schlafen, so viel ich wollte.
    Lucrezia hielt mich auf dem Laufenden über die Vorgänge am päpstlichen Hof, der wieder zum Leben erwachte, noch ehe der Ruß, der Schmutz, die Spuren der Entweihung von seinen Mauern entfernt worden waren. Kurz vor meinem dreizehnten Geburtstag erzählte sie mir, der französische König François I. habe einen neuen Gesandten nach Rom geschickt, und Papa Clemens habe verfügt, ich solle ihn unterhalten.
    Ich erschrak. »Aber was soll ich denn tun? Ihm Wein kredenzen? «
    Sie lachte. »Natürlich nicht! Ihr werdet ihn mit einem französischen Tanz ergötzen; Seine Heiligkeit hat schon einen Tanzlehrer für Euch bestellt. Wir dürfen nicht vergessen, Euch auf Eure Zukunft vorzubereiten, und Eure weiblichen Fertigkeiten sind sträflich vernachlässigt worden. Die Zeit ist gekommen, eine Dame des Hofes aus Euch zu machen.«
    »Ich dachte, ich sollte sein wie ein Tier«, schmollte ich. Ob es mir passte oder nicht, ich hatte keine Wahl, und so wurde ich während der folgenden Wochen gnadenlos von einem geschniegelten, stark parfümierten
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